Die Löwen
Frankie Amalfi, auf dem stand: An den Hundesohn, der mir mein Bein geklaut hat – ein tapferer Scherz, denn Ellis hatte bei Frankie behutsam die Verschnürung gelöst, dann an seinem Stiefel gezogen, und sein Fuß und das halbe Bein waren drin stecken geblieben , weil ein verbogenes, wild gewordenes Rotorblatt sein Knie durchtrennt hatte; Jimmy Jones’ Armbanduhr, für alle Zeit auf halb sechs stehen geblieben . Behalt du sie, Sohn, hatte Jimmys Vater durch seine Alkoholfahne zu Ellis gesagt, weil du sein Freund warst, und das ist mehr, als ich jemals gewesen bin; und das Tagebuch.
Er blätterte es durch. Nur wenige Worte brauchte er zu lesen, um sich einen ganzen Tag, eine Woche, eine «Schlacht ins Gedächtnis zu rufen. Das Tagebuch begann ‘frohgemut, mit einem Hauch von Abenteuerlust, wohl ziemlich selbstbewusst bewusst ; doch allmählich wuchs die Desillusionierung , der Ton wurde düsterer, verzweifelter, ja, so etwas wie Todes-oder Selbstmordwunsch klang durch. Die bitteren Formulierungen ließen unauslöschliche Bilder aus der Erinnerung auftauchen: Gottverdammte Arvins wollten nicht aus dem Hubschrauber raus; wenn sie so erpicht drauf sind, vom Kommunismus erlöst zu werden,warum kämpfen sie dann nicht? Und gleich darauf: Capt. Johnson war zwar ein Arschloch, aber was für eine Art zu sterben, von einem seiner eigenen Männer mit Granaten bepfeffert. Und später: Die Frauen haben Gewehre unter ihren Röcken, die Kinder - Granaten in ihren Hemden, was, Himmelarsch, sollen wir also tun, kapitulieren? Die letzte Eintragung lautete: Was an diesem Krieg verkehrt ist, ist, dass wir auf der verkehrten Seite stehen. Wir sind die Bösen. Deshalb drücken sich so viele Wehrpflichtige; deshalb wollen die Vietnamesen nicht kämpfen; deshalb töten wir Frauen und Kinder; deshalb belügen die Generäle die Politiker, belügen die Politiker die Reporter,belügen die Zeitungen die Öffentlichkeit.
Danach wurden seine Gedanken zu ketzerisch, als dass er sie seinem Tagebuch anvertraute, und sein Schuldgefühl war zu groß, als dass bloße Worte genügt hätten, um es loszuwerden. Es schien ihm, er werde den Rest seines Lebens damit verbringen müssen, das Unrecht, das er in jenem Krieg begangen hatte, durch den Kampf für das Recht wieder wettzumachen. Nach all den Jahren war er noch immer dieser Überzeugung. Doch wenn er auf die eine Waagschale legte, was er seither erreicht hatte – all die Mörder und Kidnapper und Luftpiraten und Bombenleger, die durch ihn gefasst gefasst worden waren -, so wog das beinahe nichts gegenüber der Tonnenlast von Bomben, die er abgeworfen, und den vielen Tausend Schuss abgefeuert hatte in Vietnam, Laos und Kambodscha.
Es war irrational, kein Zweifel. Das war ihm bewusst geworden, als er nach seiner Rückkehr aus Paris eine Zeit lang nachgrübelte, wie dieser Job sein Leben ruiniert hatte. Er hatte sich vorgenommen, einen Schluss strich zu ziehen : nicht länger zu versuchen, die Sünden Amerikas irgendwie wettzumachen. Aber dies … dies war etwas anderes. Hier bot sich eine Chance, für den kleinen Mann zu kämpfen; zu kämpfen gegen die verlogenen Generäle, gegen die Makler der Macht, gegen die blauäugigen Journalisten; eine Chance, nicht nur als einzelner unter vielen anderen zu kämpfen: Dieser Auftrag, falls er ihn annahm und erfolgreich durchführte, konnte den Verlauf eines Krieges ändern, das Schicksal eines ganzen Landes ändern - es konnte ein großer Triumph im Kampf um die Freiheit sein. Und dann war da noch Jane.
Allein die Möglichkeit, sie wiederzusehen, hatte seine Leidenschaft von Neuem entfacht.
Erst vor wenigen Tagen hatte er an sie gedacht und an die Gefahr, in der sie sich befand, doch hatte er diese Gedanken verdrängt und sich auf einen anderen Artikel im Nachrichtenmagazin konzentriert. Jetzt jedoch konnte er kaum noch an etwas anderes denken als an sie. Er fragte sich, ob sie ihr Haar lang oder kurz trug, ob sie dicker oder dünner geworden war, ob ihr jetziges Leben sie befriedigte, ob die Afghanen sie mochten und – vor allem – ob sie Jean-Pierre noch liebte. Befolge meinen Rat, hatte Gill gesagt, prüf bei ihr mal nach. Kluge Gill.
Schließlich dachte er an Petal. Ich hab’s versucht, dachte er, ich hab’s wirklich versucht, und ich glaube auch nicht, dass ich’s zu ungeschickt angestellt habe – es war wohl von vornherein zum Scheitern verurteilt. Gill und Bernard bieten ihr alles, was sie braucht.
Für mich ist in ihrem Leben kein Platz.
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