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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Voller Furcht starrte sie in sein Gesicht.
    Plötzlich begann Chantal zu greinen.
    Jean-Pierres Gesichtsausdruck änderte sich drastisch. Die Feindseligkeit verschwand aus seinen Augen, der starre Ausdruck ungeheurer Wut zerbröckelte gleichsam; und schließlich bedeckte er zu Janes Verblüffung mit einer Hand die Augen und begann zu weinen.
    Ungläubig betrachtete sie ihn. Sie spürte, wie Mitleid in ihr aufstieg, und dachte: Sei nicht so blöd, der Kerl hat dich eben erst zusammengeschlagen. Trotzdem rührten seine Tränen sie irgendwie an. »Wein doch nicht«, sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang erstaunlich sanft. Sie berührte seine Wange.
    »Es tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid, was ich mit dir gemacht habe. Mein ganzes Lebenswerk … alles umsonst.«
    Erstaunt und mit einer Spur von Selbstverachtung wurde sie sich bewusst bewusst , dass sie keine Wut mehr auf ihn hatte, trotz ihrer geschwollenen Lippen und dem noch immer schmerzenden Bauch. Sie gab ihren Gefühlen nach, legte einen Arm um Jean-Pierre und tätschelte ihm den Rücken, als wolle sie ein Kind trösten.
    »Nur wegen Anatolis Akzent«, murmelte er. »Nur deswegen.«
    » Vergiss vergiss Anatoli«, sagte sie. »Wir werden Afghanistan verlassen und nach Europa zurückkehren. Wir reisen mit dem nächsten Konvoi.«
    Er nahm seine Hand vom Gesicht und sah Jane an. »Wenn wir wieder in Paris sind …«
    »Ja?«
    »Wenn wir wieder zu Hause sind … ich möchte, dass wir dann zusammenbleiben. Kannst du mir verzeihen? Ich liebe dich – wirklich, ich habe dich immer geliebt. Und wir sind verheiratet. Und da ist Chantal. Bitte, Jane – bitte, Verlassverlass mich nicht. Bitte.«
    Zu ihrer Überraschung zögerte sie keine Sekunde. Er war der Mann, der sie liebte, ihr Ehemann, der Vater ihres Kindes; und er war in Schwierigkeiten und bat um Hilfe. »Ich gehe nicht fort«, sagte sie.
    »Versprich es«, sagte er. »Versprich mir, dass du mich nicht verlassen wirst.«
    Sie lächelte ihn an mit ihrem blutigen Mund. »Ich liebe dich«, sagte sie. »Ich verspreche dir, dass ich dich nicht verlasse.«

9
     
     
    ELLIS WAR FRUSTRIERT, ungeduldig und zornig. Frustriert war er, weil er sich schon seit sieben Tagen im Fünf-Löwen-Tal befand und Masud immer noch nicht getroffen hatte.
    Ungeduldig war er, weil er es Tag für Tag als Folter empfand, mit ansehen zu müssen, wie Jane und Jean-Pierre glücklich zusammenlebten und zusammenarbeiteten und die Freude über ihr glückliches kleines Mädchen miteinander teilten. Und zornig war er, weil kein anderer als er selbst sich in diese widerwärtige Situation manövriert hatte.
    Heute, so war ihm ausgerichtet worden, werde er mit Masud zusammentreffen, aber bis jetzt hatte sich der große Mann noch nicht blicken lassen. Gestern war Ellis den ganzen Tag zu Fuß gegangen, um hierher zu gelangen. Er befand sich jetzt am südwestlichen Ende des Fünf-Löwen-Tal s , auf russischem Territorium. Banda hatte er in Begleitung von drei Guerillas verlassen - Ali Ghanim, Matullah Khan und Jussuf Gul -, doch in jedem Dorf waren zwei oder drei weitere hinzugekommen, und jetzt zählten sie insgesamt dreißig.
    Sie saßen im Kreis um einen Feigenbaum, der hoch oben auf einem Hügel stand, unweit des Gipfels; sie aßen Feigen und warteten.
    Am Fuß des Hügels begann eine Ebene, die sich weit nach Süden hinzog - bis nach Kabul, das etwa achtzig Kilometer entfernt lag und von hier aus nicht zu sehen war. In derselben Richtung, doch näher, befand sich der Luftstützpunkt Bagram, nur etwa fünfzehn Kilometer entfernt: Die Gebäude waren nicht sichtbar, doch die Männer konnten verfolgen, wie hin und wieder ein Jet aufstieg. Die Ebene glich einem üppigen Mosaik aus Feldern und Obstgärten, kreuz und quer von Wasserläufen durchzogen, die sämtlich in den Fünf-LöwenFluss mündeten: breiter und tiefer, jedoch mit unverminderter Geschwindigkeit, floss er R Floßfloß auptstadt. Dicht am Fuß des Hügels verlief eine primitive Straße, die das Tal hinauf bis zur Stadt Rokha führte, dem nördlichsten Grenzpunkt des hiesigen russischen Territoriums. Auf der Straße herrschte wenig Verkehr: ein paar Bauernkarren, gelegentlich ein Panzerwagen. Dort, wo die Straße den Fluss überquerte, befand sich eine neue, von den Russen erbaute Brücke.
    Diese Brücke wollte Ellis sprengen.
    Die Unterweisungen im Umgang mit Explosivstoffen, die dazu dienten, seine eigentliche Mission so lange wie möglich zu tarnen, waren so beliebt, dass er gezwungen

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