Die Löwen
gründlich.
Jane trat in ihr Haus ein und ging zum Schlafzimmer. Chantal lag auf einem gefalteten Handtuch in ihrer › Wiege ‹ , einem um die Hälfte verkleinerten Pappkarton. In der warmen Luft des afghanischen Sommers brauchte sie keine Kleidung. Nachtsüber war sie mit nur einem Tuch bedeckt. Die Widerstandskämpfer und der Krieg, Ellis und Mohammed und Masud, all das schrumpfte zur Unwesentlichkeit, während Jane ihr Baby betrachtete. Sie hatte immer gedacht, Säuglinge seien hässlich , doch Chantal erschien ihr sehr hübsch. Die Kleine bewegte sich jetzt und öffnete den Mund und schrie. Sofort trat aus Janes rechter Brustwarze Milch hervor, und ein warmer, feuchter Fleck bildete sich auf ihrem Hemd. Sie knöpfte es auf und hob Chantal hoch.
Jean-Pierre hatte ihr geraten, sie solle sich die Brüste vor dem Stillen mit medizinischem Alkohol abwaschen, doch das tat sie nie, weil sie wusste , dass Chantal den Geschmack nicht mögen würde. Sie setzte sich auf einen Teppich, den Rücken gegen die Wand gelehnt, Chantal in der rechten Armbeuge. Das Baby schwenkte die rundlichen Ärmchen und drehte den Kopf von Seite zu Seite, mit geöffnetem Mund vergeblich suchend. Jane lenkte sie sacht zur Warze. Das zahnlose Zahnfleisch schloss sich darum, und das Baby begann heftig zu saugen. Jane zuckte unwillkürlich zusammen, einmal, zweimal; erst beim dritten Mal wurde das Saugen sanfter. Chantal streckte das winzige, plumpe Händchen hoch und berührte die runde Seite von Janes geschwollener Brust. Der leichte Druck glich einer suchenden, ungeschickten Liebkosung. Jane fühlte, wie sich ihr Körper entspannte.
Immer, wenn sie ihr Baby stillte, war sie erfüllt von einer unvorstellbaren Zärtlichkeit und Fürsorge. Außerdem hatte es zu ihrer Überraschung etwas Erotisches. Zuerst hatte sie sich dieses Gefühls geschämt; aber dann spürte sie, wie natürlich es im Grunde war, und seither genoss sie es.
Sie freute sich schon darauf, Chantal bei Verwandten und Bekannten herumzuzeigen - falls die Rückkehr nach Europa jemals Wirklichkeit werden sollte. Jean-Pierres Mutter würde ihr natürlich sagen, dass sie alles falsch machte, und ihre eigene Mutter würde darauf bestehen, dass das Baby getauft wurde, während ihr Vater, durch einen alkoholischen Dunstschleier, Chantal vergöttern würde, und ihre Schwester würde stolz und vor Freude außer sich sein. Wer sonst noch? Jean-Pierres Vater war tot…
Vom Hof her klang eine Stimme. » Irgendjemand zu Hause?«
Es war Ellis. »Herein«, rief Jane. Sie hatte nicht das Gefühl, sich bedecken zu müssen: Ellis war kein Afghane, und außerdem war er einmal ihr Liebhaber gewesen.
Er trat ein, sah, dass sie ihr Baby stillte, und blieb abrupt stehen. »Soll ich wieder gehen?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Du kennst doch meine Brüste.«
»Na, ich weiß nicht«, sagte er. »Du muss t sie ausgewechselt haben.«
Sie lachte. »Wenn man schwanger gewesen ist, kriegt man so Riesendinger.« Ellis hatte eine Ehe hinter sich und war Vater, das wusste sie, doch schien er das Kind oder seine Mutter niemals gesehen zu haben. Sie gehörten zu den Dingen, über die er kaum jemals sprach.
»Erinnerst du dich nicht daran, als deine Frau schwanger war?«
»Das habe ich versäumt«, sagte er in dem knappen Tonfall, den er anschlug, um Fragen abzuwürgen. »Ich war fort.«
Jane fühlte sich zu entspannt, um im gleichen Ton zu antworten. Im übrigen tat er ihr leid. Sein Leben war ein ziemlicher Wirrwarr, doch lag die Schuld dafür nicht allein bei ihm; und außerdem war er für seine Sünden bestraft worden - nicht zuletzt von ihr.
»Jean-Pierre ist noch nicht zurückgekehrt«, sagte Ellis.
»Nein.« Janes Brust leerte sich, und das Saugen ließ nach. Sacht zog sie ihre Brustwarze aus Chantals Mund und hob das Baby an ihre Schulter. Dann gab sie der Kleinen leichte Klapse auf den Rücken, um ihr das Aufstoßen zu erleichtern.
»Masud würde sich gern seine Landkarten ausleihen«, sagte Ellis.
»Gern. Du weißt ja, wo sie sind.« Chantal rülpste laut. »Braves Mädchen«, sagte Jane.
Sie legte das Baby an ihre linke Brust. Nach dem Bäuerchen war der Appetit wieder da, und Chantal begann wieder zu saugen. Einem Impuls nachgebend, fragte Jane: »Warum siehst du eigentlich niemals dein Kind?«
Er nahm die Landkarten aus der Truhe, Schloss den Deckel und richtete sich auf.
»Das tu’ ich doch«, sagte er. »Allerdings nicht oft.« Irgendwie gab es Jane einen Schock.
Da habe
Weitere Kostenlose Bücher