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Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall

Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall

Titel: Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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beim Versuch, seinen Gasherd zu reparieren, eine kleine Explosion auslöste. Hatte anschließend die Anzeige wegen Gefährdung der Öffentlichkeit abgewendet. Türkische Tragödien eben.
    Seit Laura sich von Ronald getrennt hatte – vor immerhin fast drei Jahren –, beäugten die Özmers sie mit ängstlicher Distanz. Fragten noch immer um Rat, borgten Lebensmittel, Leiter oder Werkzeug. Sie brachten manchmal süßen türkischen Nachtisch für die Kinder, freuten sich, wenn Laura sich mit einem Apfelstrudel revanchierte. Doch das Verhältnis hatte sich verändert, war nicht mehr so selbstverständlich familiär wie zuvor. Eine geschiedene Frau schien den Özmers Angst zu machen.
    Laura war das gar nicht so unrecht, hatte sie doch genug zu tun und kaum Kraft, sich auch noch um türkische Tragödien zu kümmern. Doch jetzt waren sie massiv ausgebrochen, schlimmer als je zuvor, und sie fragte sich, ob sie etwas übersehen hatte. Der alte Ibrahim Özmer war nicht unbedingt der schlimmste aller Machos. Immerhin war er vor ein paar Jahren über seinen eigenen Schatten gesprungen, als seine älteste Tochter über Nacht mit einem jungen Mann verschwunden war. Zwar war er wochenlang in Verzweiflung versunken, hatte auf Rache gesonnen, wollte sie samt Geliebtem umbringen. All das hatte Laura sehr genau miterlebt und gemeinsam mit Ronald nächtelang vermittelt, besänftigt, manchmal gedroht. Ronald hatte später einen großen Artikel darüber geschrieben und sogar beinahe einen Preis dafür erhalten. Beinahe, das war bei ihm eben so.
    Nach unzähligen zerrissenen Hemden, Tränen und Zusammenbrüchen hatte Özmer der Heirat seiner Tochter mit dem Entführer zugestimmt. Eine wahre Heldentat für einen türkischen Vater. Es wurde eine rauschende Hochzeit in einer Turnhalle im Ruhrgebiet. Die Braut brach ohnmächtig zusammen, nachdem mindestens zweihundert Leute ihr Hochzeitskleid mit Geldscheinen und Goldketten behängt hatten. Tragödien ohne Ende. Danach waren alle pleite, aber die Ehre war wiederhergestellt, und Laura kam zu der Erkenntnis, dass sie die türkische Kultur zwar sehr lebendig, aber auch sehr anstrengend fand. Allmählich war in ihr eine stille Hochachtung vor türkischen Frauen gewachsen, vor diesen unauffälligen Frauen beinahe jeden Alters, die beharrlich und listig ihre Grenzen ausloteten, mit hohem Risiko, hin und hergerissen zwischen Tradition, Familie und dieser neuen verlockenden Freiheit.
    Offensichtlich war es jetzt zu viel für den alten Özmer. Wenigstens eine seiner Töchter sollte den Mann heiraten, den er ihr zugedacht hatte. Es ging um seine Ehre. Viele türkische Frauen waren genau aus diesen Gründen umgebracht worden. Laura kannte einige Fälle, hatte sogar in einem mal ermittelt. Allerdings gab es nicht viel zu ermitteln, weil die Täter sich selbst gestellt hatten: Vater und Bruder der jungen Frau. Sie waren traurig, tief erschüttert gewesen und fühlten sich dennoch im Recht, erklärten, dass der Tod der Schwester und Tochter unausweichlich gewesen sei, ein schicksalhaftes Unglück, notwendig zur Wiederherstellung der Ehre.
    Laura hatte versucht, ihren Zorn zu kontrollieren, um zu verstehen, was in den Herzen und Köpfen solcher Väter und Brüder vor sich ging. Sie wollte begreifen, was solche Macht über sie besaß, dass sie die Tochter und Schwester brutal erschlugen, archaische Rächer in Jeans und T-Shirt mit Jobs bei BMW. Tagelang hatte sie die beiden befragt – einzeln, gemeinsam. Aber sie konnte es einfach nicht verstehen. Fassungslos saß sie immer wieder diesen höflichen Männern mit ihren weichen gepflegten Schnauzbärten und den dunklen melancholischen Augen gegenüber. Die beiden bemühten sich, ihre Fragen zu beantworten, und konnten es doch nicht, weil sie nicht begriffen, was Laura wissen wollte.
    Was hatte der alte Emilio Gottberg gesagt, als Laura mit ihm über ihre Ratlosigkeit und Erschütterung sprach? Er sprach von Systemen, in denen alle Menschen lebten. Das Problem sei die Verschiedenheit dieser Systeme – ob man sie nun Religion, Tradition oder Politik nennen wollte. Und dann sei da noch der Unterschied zwischen geschlossenen Systemen und offenen. Geschlossene Systeme mit ihren strengen Regeln und Gesetzen böten den Menschen vermeintliche Sicherheit. Wenn so ein geschlossenes System mit einem relativ offenen zusammenstoße – wie bei Menschen aus einer traditionellen türkisch-muslimischen Gesellschaft und einer ziemlich liberalen westlichen –, dann führe

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