Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
das logischerweise zu heftigen Konflikten.
«Das ist mir zu theoretisch», hatte Laura protestiert, und ihr Vater war in lautes Gelächter ausgebrochen.
«Mir auch! So ähnlich musste ich vor Gericht argumentieren! Aber ich kann dir genau sagen, warum solch schreckliche Dinge passieren: weil die Männer totale Angst davor haben, dass sie die Kontrolle und Macht über die Frauen verlieren könnten. Und diese Angst muss man sehr ernst nehmen!»
«Hast du auch Angst davor?»
«Nein, ich bin schon drüber weg. Hätte ich sonst eine Tochter wie dich?»
Seltsam, dass ihr der genaue Wortlaut seiner Sätze einfiel, während sie noch immer mit dem Rücken an der Wohnungstür lehnte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als hielte sie einen Schlüssel zum Tod von Valeria Cabun in der Hand, einen Schlüssel ohne Schloss – es fühlte sich an wie ein wichtiger Traum, der sich beim Aufwachen in neblige Ahnungen auflöst; wie ein Name, der einem auf der Zunge liegt und den man trotzdem nicht aussprechen kann.
Eineinhalb Stunden dauerte es noch, ehe sie endlich gemeinsam bei Zwiebelpfannkuchen mit Tomatensalat saßen. Den Spinat hatten sie weggelassen. Widerwillig hatte Ronald mit Sofia und Luca das Kochen übernommen, während Laura der Ärztin dabei half, Ülivia zu versorgen. Die junge Türkin wollte nichts essen, trank nur ein großes Glas Wasser und schlief wieder ein. Eigentlich war Lauras Ärztin der Meinung, dass man Ülivia ins Krankenhaus bringen sollte, um die Kopfverletzungen genau zu untersuchen. Aber Ülivia weigerte sich, wollte nur schlafen. Laura hätte sie zwingen können, brachte es aber nicht übers Herz. Krankenhäuser waren keine Orte, an denen man sich vor dem Leben verkriechen und ausruhen konnte.
Im Augenblick würde ich mich auch ganz gern verkriechen, dachte Laura, ehe sie die Küche betrat. Ihr war überhaupt nicht danach zumute, eine Familienmahlzeit mit Ronald einzunehmen. Manchmal konnte sie es ganz gut, aber heute Abend graute ihr davor. Die anderen hatten schon angefangen zu essen, es roch nach heißem Öl, und draußen wurde es dunkel.
«Ich wünsch mir, dass Papa heute Nacht hier bleibt», sagte Sofia mit kleiner Stimme, als Laura gerade den ersten Bissen ihres Pfannkuchens in den Mund steckte. «Ich auch», fügte Luca hinzu, warf seiner Mutter dabei einen unsicheren Blick zu.
«Wenn euer Vater damit einverstanden ist …», murmelte Laura mit vollem Mund.
«Aber klar!» Ronald lächelte seinen Kindern verschwörerisch zu. «Wenn ihr mich braucht, bleibe ich. In dieser Situation ist es ohnehin besser. Den Türken muss man mit männlicher Unterstützung entgegentreten!»
Laura verschluckte sich beinahe an ihrem Pfannkuchen, aber er hatte ja Recht. Wenn Ronald den Özmer’schen Männern die Rechtslage klarmachte, dann hatte das viermal so viel Gewicht wie alle Worte von Hauptkommissarin Laura Gottberg.
Sie beschloss, die Lage so hinzunehmen, wie sie eben war, und das Beste daraus zu machen. Der Pfannkuchen sah zwar ein bisschen schlaff und fettig aus, schmeckte aber trotzdem. Der Salat war saftig, und als Ronald ihr ein Glas Rotwein reichte, fühlte sie sich beinahe versöhnt. Die Anwesenheit ihres Exmannes nahm immerhin einen gewissen Druck von ihr. Falls sie zu einem nächtlichen Einsatz gerufen würde, konnte Ronald die Verantwortung für Ülivia und die Kinder übernehmen. Überhaupt war alles einfacher gewesen, als sie noch zusammenlebten. Na ja, nicht alles, aber die Organisation des Alltäglichen. Laura schob den Gedanken weg und nippte an ihrem Wein, beobachtete ihre Kinder. Luca und Sofia bewegten sich so zufrieden, lachten mit Ronald, erzählten von der Schule – die türkische Tragödie schien vergessen.
Und ich, dachte Laura, wo bin ich? Sie wusste es nicht genau – fühlte sich angesteckt von der Wohligkeit der Atmosphäre und trotzdem nicht als Teil von ihr. Es gab kein Zurück mehr. Und Angelo Guerrini war weit weg, erschien ihr wie eine Illusion, jedenfalls ganz und gar nicht wie ein Teil ihrer Lebenswirklichkeit.
«Kaffee?»
Laura schreckte aus ihren Gedanken auf. «Gern!», antwortete sie und beobachtete, wie selbstverständlich Ronald sich in ihrer Küche bewegte. Na ja, immerhin war diese Küche viele Jahre lang seine eigene gewesen. Merkwürdig, es störte sie, und gleichzeitig fand sie es angenehm, dass er Kaffee für sie zubereitete.
«Am liebsten würde ich jetzt mit euch allen Monopoly spielen!», sagte Sofia und warf ihr langes dunkles Haar
Weitere Kostenlose Bücher