Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
verdrehte die Augen und schaute zur Decke.
Später, als Laura gegangen war, stand Peter Baumann am Fenster und schaute auf den Domplatz hinunter. Es war ziemlich dunkel, und doch blieb zwischen all den Menschen sein Blick an einem schlanken großen Mann hängen. Er wusste selbst nicht, warum. Erst als er Laura Gottberg entdeckte, die auf genau diesen Mann zulief und sich bei ihm einhängte, erkannte er Commissario Guerrini. Ein winziger Schmerz durchzuckte ihn, denn obwohl er sich gerade Mühe gab, sich in eine junge Kollegin vom Streifendienst zu verlieben, fand er seine Vorgesetzte noch immer wesentlich interessanter als die meisten Frauen, die er kannte. Sie führt uns alle hinters Licht, dachte er. Doch auch das bewunderte er an Laura.
UM ZEHN MINUTEN nach vier fuhren sie los. Es war der Morgen des Ostermontags. In der Nacht hatte es geregnet, und die Lichter der Straßenlaternen spiegelten sich im schwarz glänzenden Asphalt.
«Eigentlich wollte ich München kennen lernen», murmelte Angelo Guerrini, als sie durch die schlafende Stadt zur Autobahn nach Süden rollten. «Irgendwie habe ich das Gefühl, dass du mich ganz schnell von hier weghaben willst.»
«Findest du die Vorstellung der Cinque Terre im Frühling so abstoßend?» Laura lauschte auf das Motorgeräusch ihres alten Mercedes, hoffte, dass er durchhalten würde.
«Nein, keineswegs. Aber die Toskana und Ligurien kenne ich ziemlich gut – München dagegen kaum. Der Englische Garten hat mir sehr gut gefallen, die Innenstadt auch – und dein Vater ganz besonders!»
Laura überquerte die letzte Kreuzung vor der Autobahn und beschleunigte den Wagen. «Es tut mir Leid, Angelo … und auch wieder nicht. Ich genieße es viel zu sehr, wenn ich allein mit dir sein kann, und für mich bist du ein Stück Italien, gehörst zu dem Teil, den ich mit dem Tod meiner Mutter verloren habe. Sag jetzt nicht, dass ich etwas in dich hineinlese, das du nicht bist …»
Er lachte leise. «Natürlich liest du etwas in mich hinein. Du kennst meine innere Wüste noch nicht. Ich habe dir von ihr erzählt, aber du kennst sie nicht. Meine Frau hat mich deshalb verlassen, Laura. Es gibt sie wirklich, diese Wüste. Sie ist …»
«… weit und leer wie diese Nacht!»
Wieder lachte Guerrini. «Das ist nicht schlecht ausgedrückt.»
«Ich mag weite und leere Nächte. Sie geben mir Raum, ich kann tief atmen.»
«Aber es gibt auch Sandstürme, und die nächste Wasserstelle ist manchmal weit weg.»
Aus den Augenwinkeln nahm sie das Aufblitzen seiner Zähne wahr.
«Ist das eine Warnung, oder machst du dich über mich lustig?»
«Eine kleine Warnung vielleicht – aber ich genieße einfach unsere Art, miteinander zu reden. Wir konnten das von Anfang an ganz gut: Andeutungen, halbe Antworten, geheimnisvolle Bilder. Es ist nie langweilig mit dir, Laura.»
«Wir hatten nie genug Zeit, um Langeweile entstehen zu lassen. Weshalb hat dich eigentlich deine Frau verlassen? Ich meine konkret … ohne poetische Umschreibungen und Wüstensand.»
«Sie hat gespürt, dass ich sie nicht liebe. Ich bewundere Carlotta für ihre Entscheidung.»
Eine Weile schwiegen sie, und die Nacht war tatsächlich weit und leer, kein anderer Wagen vor oder hinter ihnen. Noch herrschte tiefe Dunkelheit, nur ganz fern im Osten zeigte der Hauch eines silbernen Schimmers, dass der Tag schon angebrochen war.
«Warum hast du sie nicht selbst getroffen, diese Entscheidung?» Laura sprach sehr leise, empfand ihre Stimme trotzdem als zu laut.
«Vermutlich aus Feigheit, Commissaria, und aus Bequemlichkeit, aus Rücksichtnahme, aus einem Gefühl der Lähmung. Zufrieden?»
«Ich weiß nicht. Nein, eigentlich nicht.»
«Was möchtest du noch wissen?»
«Was hinter der Bequemlichkeit, der Rücksichtnahme und der Lähmung stand.»
«Würdest du akzeptieren, wenn ich die Aussage verweigere und einen Anwalt hinzuziehe?»
Laura lachte. «Antworten dieser Art führen dazu, dass ich dich immer mehr liebe, Commissario!»
«Das wusste ich, Commissaria.»
Er suchte im Handschuhfach nach einer CD. Legte endlich ein Klavierkonzert von Mozart auf. Und während die Klänge durch das Innere des Wagens fluteten, überlegte Laura, wohin ihre eleganten Ausweichmanöver und Umkreisungen sie wohl führen würden.
Valeria Cabun war in einer kühlen Seitenkammer der Pfarrkirche von Riomaggiore aufgebahrt worden, obwohl Priester Giovanni Zweifel daran hatte, dass er rechtmäßig handelte. Selbstmördern war es verboten,
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