Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
Riomaggiore erreichten, immer weiter hinabstiegen, durch Gassen, die schmalen Schluchten glichen und so tief waren, dass die Sonne sie wohl nie erreichte. Guerrini fragte jeden Einheimischen, dem sie begegneten, nach einem Zimmer. Beim zehnten oder zwölften Versuch wurde er fündig.
«Sei fortunato! Da hast du aber Glück!», rief eine Frau um die sechzig. «Ich bin gerade auf dem Weg, um ein Zimmer sauber zu machen, das heute Morgen frei wurde. Ihr könnt mitkommen und es euch ansehen.»
Geschäftig lief sie voraus, eine kleine Frau mit braun getönten Haaren und sehr heller Haut, nicht dick, nicht schlank. Über einem dunkelblauen Kleid trug sie eine schwarze Stickweste. Laura versuchte sich den Weg irgendwie einzuprägen, gab aber nach kurzer Zeit auf. Die Frau führte sie nach links und rechts, treppauf, treppab, sprach mit allen Katzen, die auf Mäuerchen oder Fenstersimsen saßen, und hielt endlich vor einem Haustor am Ende einer steilen Treppe an.
«Ecco», sagte sie, zückte einen erstaunlich kleinen Schlüssel und öffnete die schwere Tür. Hinter der Tür führte ein schmaler Gang nach rechts, doch genau gegenüber lag eine zweite Tür, und die war der Eingang zum einzigen freien Zimmer von Riomaggiore.
Es war nicht besonders groß, hatte gerade Platz genug für ein breites Bett, einen Schrank und einen Sessel. Durch die beiden Fenster sah man genau auf das gegenüberliegende Haus, das ungefähr fünf Meter entfernt war, und auf drei schwarze Damenschlüpfer, ein Paar Strumpfhosen und einen Geranienstock mit knallrosa Blüten. Direkt unter der Zimmerdecke war ein Fernseher angebracht, und eine schmale Tür führte ins winzige Bad.
«Tutto bene?», fragte die kleine Frau und zog entschlossen das Laken vom Bett.
«Si, tutto bene», gab Guerrini zurück und kratzte sich mit solcher Vehemenz am Oberschenkel, dass Laura wegsehen musste, um nicht in Gelächter auszubrechen.
«Ihr könnt eure Koffer hier lassen. In einer Stunde ist das Zimmer fertig. Jetzt geht ihr am besten zur Hauptstraße runter, dann nach rechts hinauf, und auf der linken Seite ist unser Vermietungsbüro. ‹Appartamenti e Camere Cabun› steht drüber. Das Frühstückszimmer ist gleich daneben. Wir haben Zimmer und Wohnungen im ganzen Ort. Da ist es praktisch, wenn die Leute ihr Frühstück gemeinsam einnehmen können. Unser Hotel ist sozusagen der ganze Ort!» Sie lachte, bemerkte gar nicht das Erstaunen ihrer Gäste.
«Es ist Zimmer Nummer 33. Könnt ihr euch das merken? Nummer 33, und Maddalena schickt euch!» Damit drängte sie Laura und Guerrini sanft hinaus.
«Cabun», sagte Guerrini, während er hinter Laura die engen Stufen hinunterging. «Wahrscheinlich gehört denen der halbe Ort. Vielleicht wäre es besser gewesen, bei der Konkurrenz zu mieten. Die könnten uns ein bisschen mehr erzählen.» Er hielt Laura am Arm zurück und sah sie unglücklich an. «Würdest du bitte meinen Rücken rubbeln. Diese Ameisen machen mich ganz verrückt. Glaubst du, dass die Natur etwas gegen uns Menschen hat?»
«Ja», erwiderte Laura voll Überzeugung und rieb kräftig mit der Faust über Angelos Rücken.
An der Rezeption des verstreuten Hotelunternehmens hatte Laura eigentlich Roberto Cabun erwartet, doch ein junger Mann um die Dreißig bediente sie, verlangte eine Anzahlung, ihre Ausweise, war nicht übermäßig freundlich. Er hatte etwas von dieser herablassend uninteressierten Art, die manche Italiener Touristen entgegenbringen.
Laura und Guerrini stellten keine Fragen, verhielten sich völlig unauffällig. Als sie endlich ihren Zimmerschlüssel bekamen, schlenderten sie wieder abwärts durch die einzige Hauptstraße von Riomaggiore, genossen den Duft frischer Pizza, wichen einem der kleinen Elektrobusse aus – einer Errungenschaft des Weltkulturerbes –, tranken einen Cappuccino. Sie schauten den unzähligen Touristen aller Nationalitäten zu, die dahinströmten, von irgendwoher kamen, irgendwohin gingen, Pizza aus der Hand aßen oder vor einem Geldautomaten Schlange standen.
Es waren drei Glockenschläge, die Laura aufmerksam machten.
«Lass uns die Kirche suchen», sagte sie. «Man hat Valeria vermutlich aufgebahrt.»
Guerrini sah sie zweifelnd an. «Unwahrscheinlich. Sie gehen doch davon aus, dass sie Selbstmord begangen hat. Die katholische Kirche kennt da wenig Milde.»
«Ich würde darauf wetten, dass Valeria aufgebahrt wurde. Du hast ihre Eltern nicht gesehen, Angelo. Ich glaube, Roberto Cabun hat die Kraft, die
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