Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
geschah kein Wunder, die Schmerzen der alten Frau verebbten, Valeria verharrte in ihrer entrückten Schönheit, und von draußen drangen Taubengurren und Kindergeschrei herein. Da legte Maria Valeria den Kopf auf die Brust ihrer Enkelin und weinte.
Laura und Guerrini erreichten die Bergkette hinter La Spezia am frühen Nachmittag. Magnolien blühten in den Gärten der Villen, und von der Panoramastraße aus eröffnete sich ein verwirrender Blick auf ein Durcheinander von Straßen, Häusern, Autos, Hafenanlagen und Schiffen. Über eine Stunde hatten sie gebraucht, um dem Irrgarten dieser Stadt zu entkommen, atmeten auf, als die Straße endlich den Bergkamm durchschnitt und die Steilküste der Cinque Terre vor ihnen auftauchte. Die Sonne beleuchtete weit draußen eine schwarze Wolkenwand, vor der das Meer sich silbern bis zum Horizont kräuselte. Hellgrüner Schimmer lag wie Weichzeichner über den Steilhängen, deren akkurate Terrassenfelder Laura an Bilder aus Asien erinnerten. Ganz unten, knapp über dem Meeresspiegel, hingen die Dörfer, schienen sich Häuser an Felsen zu klammern und in tiefe Täler zu ducken.
Guerrini, der inzwischen das Steuer übernommen hatte, bog in die schmale Stichstraße nach Riomaggiore ein, fluchte leise über die endlose Reihe von Autos, die am Straßenrand abgestellt waren.
«Ostern», murmelte er. «Niemand, der auch nur einen Funken Verstand hat, fährt an Ostern in die Cinque Terre. Wir werden vermutlich nicht einmal ein Zimmer bekommen. Seit dem Niedergang des römischen Reiches leidet dieses Land unter permanenten Völkerwanderungen!»
Er parkte Lauras alten Mercedes geschickt in einer winzigen Lücke zwischen zwei Wohnmobilen.
«Und jetzt?», fragte Laura.
«Jetzt gehen wir zu Fuß! Warst du denn noch nie hier? Es gibt keine Parkplätze oder nur solche, die man nicht bezahlen kann. Es ist ein Albtraum, vor allem seit die Gegend hier zum Weltkulturerbe und Nationalpark erklärt wurde. Jetzt kommen die Leute sogar aus Australien, China und Südafrika … povera Italia.»
«Mir kommen gleich die Tränen!»
Guerrini sah sie einen Augenblick lang verblüfft an, fing dann an zu lachen.
«Danke, dass du mich auf mein italienisches Selbstmitleid hingewiesen hast.»
«Aber bitte, gern geschehen. Du meinst also im Ernst, dass wir jetzt unsere Koffer den Berg hinunter nach Riomaggiore rollen sollen?»
«Ja, natürlich! Und ich kenne sogar einen höchst romantischen, touristenfreien Schleichweg.»
Der Schleichweg stellte sich als steile Treppe heraus, die von der Straße durch die kleinen Gemüsegärten und Weinfelder ins Dorf führte. Es war durchaus beschwerlich, die Koffer über die hohen Stufen zu ziehen und zu heben, doch Laura verzieh Angelo dieses Abenteuer schon nach wenigen Minuten. Der Blick hinunter auf die Dächer von Riomaggiore war atemberaubend, das Meer nahe der Küste leuchtend grün. Trockenmauern fassten den Weg ein. Zwischen den kunstvoll übereinander geschichteten Steinen wuchsen winzige Alpenveilchen und Anemonen. Feigenbäume duckten sich in die schützenden Terrassen, um den Meeresstürmen auszuweichen. Ihre hellgrünen Blätter sahen wie kleine Hände aus, und ihr Duft ließ Laura immer wieder stehen bleiben und mit geschlossenen Augen tief einatmen. Die ersten Rosen blühten im Schutz der Mauern, Möwen und Mauersegler kreisten über der Bucht.
Auf halbem Weg ins Dorf ließ Laura ihren Koffer stehen und folgte einem Pfad, der parallel zum Hang verlief. Gebückt ging sie unter niedrigen Olivenbäumen hindurch, deren Blätter vom Wind gewendet wurden und wie silberne Wolken umherwogten. Am Ende des Weges erreichte sie ein halb verfallenes Häuschen, einen überwucherten Gemüsegarten, in dem nur Artischocken und ein paar Kräuter überlebt hatten. An der Außenmauer des Häuschens stand ein kräftiger Rosenbusch, dessen rote Knospen sich in der Sonne öffneten. Unterhalb des Gärtchens fiel der Hang so steil ab, dass Laura die Arme ausbreitete und sich wie eine der Möwen fühlte, die unter ihr schwebten. Es roch nach Salz und Tang, nach frischen Blättern und Sonne.
Als Laura sich umdrehte, stand Angelo hinter ihr. Sie lehnte sich an ihn, schnupperte zärtlich an seinem Hals.
«Zwei Minuten Paradies!», flüsterte sie.
«Eine halbe Stunde», erwiderte er leise und zog sie hinunter – zwischen Thymian, Oregano und lila Anemonen.
Und Ameisen. Abwechselnd mussten sie sich heftig kratzen, als sie nach einer Stunde endlich die ersten Häuser von
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