Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
sie erkannt habe!» Laura saß auf einem Mäuerchen, Guerrini ging unruhig vor ihr auf und ab. Die Katze, die Laura gefolgt war, lauerte auf den richtigen Moment, sich an Guerrinis Beine zu schmiegen.
«Die Beleuchtung in diesen Gassen ist viel zu schlecht. Es ist unmöglich, jemanden genau zu erkennen. Pass auf, ich zeige dir morgen zehn Mädchen, die aussehen wie Valeria Cabun. Wir hätten vielleicht nicht so viel Wein trinken sollen …»
«Ich bin nicht betrunken, wenn du das meinst. Ich habe eine verdächtige Person gesehen und bin ihr nachgegangen, wie man das in meinem Beruf macht! Neben all den schönen anderen Dingen bin ich nämlich dienstlich hier.»
Angelo Guerrini blieb vor Laura stehen. Die Katze nutzte ihre Chance und warf ihren Körper gegen sein Schienbein. Ungeduldig bückte er sich, hob das Tier hoch und setzte es neben Laura auf die Mauer. «In deinem Kopf tickt es schon wieder», sagte er. «Ich kann es deutlich hören, du auch?»
Laura schüttelte den Kopf und drückte die Katze an sich. «Es tickt nicht, Angelo. Ich habe mich gefürchtet, als ich hinter dieser Frau herlief. Erst nur ein bisschen, dann immer mehr. Etwas an dieser Geschichte ist sehr beunruhigend. Allmählich fange ich an zu glauben, dass Denner und seine Frau tatsächlich Valeria gesehen haben.»
Guerrini ließ sich neben sie auf die Mauer fallen, stützte einen Ellenbogen auf seinen rechten Oberschenkel.
«Warum ärgerst du dich eigentlich so sehr?», fragte Laura.
«Ich habe mich gefürchtet. Ich hatte wirklich Angst, dass dir etwas zugestoßen sein könnte. Wenn ich mich fürchte, werde ich immer ärgerlich!» Er zauste die Katze auf Lauras Schoß so unbewusst heftig, dass sie leise zu fauchen begann und mit einer Pfote nach ihm schlug.
«Immer?», fragte Laura.
«Ich glaube schon.» Er zog seine Hand zurück. Die Katze machte einen Buckel und sprang von Lauras Schoß.
«Warum?»
«Weiß nicht.»
«Darfst du dich nicht fürchten?»
«Vielleicht.»
«Weshalb?»
«Altes Männerleiden.»
«Ein Junge hat keine Angst?»
«So ähnlich!»
«Anstrengend, was?»
«Sehr!»
Etwas in seiner Körperhaltung veränderte sich plötzlich, und als sie den Kopf wandte, sah sie, dass er vor unterdrücktem Lachen bebte.
«Ich liebe deine deutsche Ernsthaftigkeit!», prustete er und legte beide Arme um sie.
«Mir geht es im Augenblick wie der Katze, ich würde am liebsten einen Buckel machen und dich kratzen.» Sie schob ihn weg. War sie verletzt? Nicht wirklich. Manchmal lachte sie selbst über ihre Eigenschaft, die vermeintlichen Schwierigkeiten anderer zu ernst zu nehmen. Aber ein ganz klein wenig schmerzte Angelos Scherz schon.
Jetzt schaute er sie aufmerksam an, drehte sie so, dass der Schein der Straßenlaterne auf ihr Gesicht fiel. «Vorhin, als ich in diesen dunklen Gassen nach dir suchte, wurde mir plötzlich klar, wie schnell man einen Menschen verlieren kann. Davor habe ich mich gefürchtet, Laura. Ich will dich nicht verlieren.» Er küsste sie so heftig, dass sie das Gleichgewicht verlor und er sie festhalten musste.
ES WAR EIN langer Trauerzug, der sich am nächsten Vormittag durch die Gassen von Riomaggiore zum Friedhof bewegte. Valerias blumenbedeckter Sarg wurde von den jungen Männern der Familie getragen. Die Urlauber blieben dicht gedrängt an den Seiten stehen und starrten, als hätte der Tourismusverband dieses Ereignis eigens für sie inszeniert. Wie das Brummen eines Insektenschwarms setzte sich das Gemurmel der Betenden von der Spitze der Prozession bis zum Ende fort. Es roch ein bisschen nach Mottenkugeln, denn viele gute dunkle Anzüge waren für diese Gelegenheit aus den Schränken geholt worden.
Die schwarzen Wolken des Vortags hatten sich verzogen, und der Himmel erschien beinahe unwirklich klar, von einem durchsichtigen Blau. Laura und Guerrini ließen die Trauernden an sich vorüberziehen, reihten sich erst im letzten Drittel ein. Während sie ihre Schritte dem stockenden, schleppenden Gang der anderen anglichen, dachte Laura, dass keines der Gesichter sie an Valeria erinnert hatte. Allerdings verbargen sich viele Frauen hinter schwarzen Spitzenschleiern, manche trugen auch Sonnenbrillen wie sie selbst. Am tiefsten hatte sich ihr das Bild der alten Frau eingeprägt, die sie bereits kurz in der Kirche gesehen hatte. Schlank und groß war sie gewesen, in ein langes schwarzes Kleid gehüllt, mit einem schwarzen Tuch um die Schultern, das an den Rändern mit blauen Sternen eingefasst war. Im
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