Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
«Die jungen Leute kommen nicht mehr oft in die Kirche. Die Kinder, die Eltern, die Alten … die kommen noch. Aber die Jungen …» Er schüttelte bekümmert seinen Kopf.
«Sie sollen mir ja auch keine Beichtgeheimnisse verraten, Don Giovanni. Sehen Sie, ich bin selbst sehr erschüttert vom Schicksal der jungen Frau. Und die Untersuchung der Umstände ihres Todes gestalten sich sehr schwierig. Deshalb bin ich auf jede Information angewiesen, die mich ein Stückchen weiterbringen könnte. Ich wüsste nur gern ein wenig über die Familie Cabun. Was für eine Familie ist das?»
Der Pfarrer lehnte sich zurück, presste die Lippen zusammen, schaute wieder zur Jungfrau Maria hinauf.
«Eine sehr eigenwillige», antwortete er endlich, strich mit der flachen Hand über seine Soutane. «Keine eifrigen Kirchgänger, aber an den wichtigen Festtagen sind sie immer da. Ich denke, dass sie alle Kommunisten waren – jedenfalls ehe sie zu Geld gekommen sind. Vielleicht sind sie es auch heute noch, vermutlich sogar.»
Laura lächelte, Don Giovanni ebenfalls.
«Ist es eine Familie, die sehr eng und liebevoll miteinander umgeht?»
«Ja, das kann man sagen. Die Cabuns sind ein Baum mit vielen Wurzeln und Zweigen. Cabuns gibt es hier überall.»
«Mich hat die alte Frau beeindruckt – die Großmutter, nehme ich an. Können Sie mir etwas über sie erzählen?»
Der Pfarrer wiegte den Kopf, faltete erneut seine Hände. «Maria Valeria Cabun», sagte er leise. «Sie ist besonders eigenwillig. Eine echte Persönlichkeit. Um ehrlich zu sein, Commissaria: Maria Valeria ist für die Kirche ein Problem.» Er schaute schnell zur Madonna, lächelte plötzlich verschmitzt. «Die Madonna wird mir vergeben, wenn ich Ihnen sage, dass Maria Valeria zur Zeit der Inquisition sicher als Hexe verbrannt worden wäre.»
«Oh», erwiderte Laura, «dann ist sie sicher eine interessante Frau.»
«Das ist sie, Signora Commissaria. Es gibt da eine Familienlegende der Cabun-Frauen. Es hat etwas zu tun mit einer Vorfahrin, die einen Liebhaber umgebracht haben soll. Genau kennt diese Geschichte niemand – sie wird nur unter den Frauen der Cabuns weitergegeben. Ich habe Maria Valeria viele Male gesagt, dass sie aufhören soll, diese Geschichte den jungen Frauen weiterzuerzählen. Aber sie lacht nur und hört nicht auf mich.»
Das könnte es sein, dachte Laura. «Wie hat diese Vorfahrin der Cabuns ihren Liebhaber umgebracht?», fragte sie.
Der Priester hob abwehrend beide Hände. «Non io so, Commissaria. Ich weiß es nicht, und ich bin, ehrlich gesagt, froh darüber. Es ist nicht gut, zu viel über das Böse zu wissen. Der Teufel ist wirklich überall!»
«Nach der Beerdigung hat ein junger Mann zu mir gesagt, dass ich besser gehen solle.»
Der Priester seufzte. «Wenn es ein Cabun war, dann hat er Ihnen sicher einen guten Rat gegeben, Commissaria.»
Laura überlegte kurz, ob sie dem Pfarrer von der nächtlichen Begegnung erzählen sollte – ließ es aber bleiben.
«Nur noch eine Frage, Don Giovanni. Gibt es hier im Dorf eine junge Frau, die der toten Valeria sehr ähnlich sieht?»
Es war, als würde der Priester sich zurückziehen, wie eine Schnecke, deren Fühler man berührt.
«Ich kenne die jungen Leute nicht mehr», sagte er so leise, dass Laura und Angelo ihn kaum verstehen konnten. «Sie sehen alle gleich aus. Liegt an der Mode oder an den Zeiten … ich weiß es nicht.»
«Vermutlich gibt es also eine Frau, die Valeria ähnlich sieht», sagte Guerrini, als sie wieder unter den Oleanderbäumchen vor der Kirche San Giovanni Battista standen.
«Ziemlich sicher sogar.»
«Aber sie wird sich nicht mehr zeigen.»
«Ich könnte den Maresciallo unter Druck setzen.»
«Du könntest … fragt sich nur, ob das Erfolg versprechend ist.»
«Er kann doch nicht ernsthaft jemanden decken, der in einen Mord verwickelt ist!»
«Vielleicht ist niemand in einen Mord verwickelt, und die Signori Denner haben sich etwas ausgedacht, um von sich selbst abzulenken.»
«Möglich.»
«Dann wären wir umsonst hier.» Guerrini hielt sein Gesicht der Sonne entgegen und schloss die Augen.
«Nein. Ich bin fast sicher, dass diese geheimnisvolle Geschichte der Cabun-Frauen etwas mit Valerias Tod zu tun hat. Deshalb muss ich unbedingt mit der Großmutter sprechen!»
«Am Tag der Beerdigung? Die essen, trinken und weinen jetzt alle, und das wird sich bis in die Nacht hineinziehen. Roberto Cabun war keineswegs begeistert, dich zu sehen … Er wird uns sicher
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