Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
an diesem Nachmittag noch führen. Auf die Frage nach dem Revier erklärten die alten Männer weitschweifig, dass es zwei Möglichkeiten gebe, den Weg über die Burg und den besonders schönen hinunter zu den Klippen und um den Fels herum in den neuen Teil von Riomaggiore. Sie unterstützten ihre Beschreibung mit heftigen Bewegungen ihrer Arme und Hände.
Auf die Frage der Alten, was sie denn von den «Polizotti» wollten, erwiderte Guerrini, dass jemand das Radio aus seinem Auto gestohlen habe.
«Ah», rief der Dünnere der beiden aus und fuchtelte mit seinem Gehstock, «das sind die aus La Spezia oder aus dem Süden! Sie kommen in der Nacht und verschwinden so schnell, dass man sie nicht erwischen kann. Die Fremden halten uns für die Diebe, und das ist schlecht, wirklich schlecht für unsere Gegend!»
Guerrini nickte ernst und verabschiedete sich, für all die Auskünfte dankend. Er legte einen Arm um Lauras Schultern, folgte mit ihr dem gepflasterten Fußweg, der vom Kirchplatz entlang der Häuser um den Berghang führte. Es war mehr eine Promenade, und der Ausblick zum Meer öffnete sich immer weiter. Der Beschreibung der Alten folgend, stiegen sie wieder über steile Treppen hinunter zum Wasser, durchquerten kleine Gärten, in denen Gemüse und Blumen durcheinander wuchsen. Große Feigenkakteen und Agaven hingen zwischen den Felsen. Touristen hatten ihre Namen in das Fleisch der Pflanzen geschnitten.
In flachen Wellen schwappte das Meer gegen die Klippen, winzige Schaumkreisel hinterlassend. Tief unter ihnen tauchte ein Zug aus einem Tunnel auf und verschwand wie ein Phantom im nächsten. Hoch oben in den Bergen sammelten sich plötzlich dunkle Wolken, sandten weichen Nebel über die steilen Weinberge herab und verliehen der Landschaft eine fast bedrohliche Dramatik. Als die Sonne hinter den Wolken verschwand, drehte der Wind, plötzlich wurde es kalt, und Laura dachte, dass dieser Wetterwechsel zur ganzen Situation passte.
Maresciallo Sarbia war erstaunt, als Laura und Guerrini sich vorstellten. Er sei davon ausgegangen, dass Valeria sich in München aus dem Fenster gestürzt habe und damit dieser traurige Fall abgeschlossen sei. Natürlich habe er Valeria gekannt – ein wunderschönes Mädchen, stark und ein bisschen widerspenstig, aber das seien die Frauen in dieser Gegend sowieso. Man nehme nur Valerias Großmutter, die habe auch immer ihren eigenen Kopf gehabt, und Carla Cabun, Valerias Mutter, sei auch nicht ohne. Wohl die Einzige, die es mit Roberto Cabun aufnehmen könne.
Als Laura dem Maresciallo von den merkwürdigen Vorkommnissen in München erzählte, zündete er sich eine Zigarette an und stellte sich ans offene Fenster. Er blies den Rauch hinaus, doch der kalte Wind trieb ihn wieder ins Zimmer zurück. Sarbia entschuldigte sich, rauchte aber weiter.
«So!», sagte er, nachdem Laura geendet hatte. «Man hat Valeria gesehen. In München. Aber sie liegt oben in der Kirche. Ich habe das selbst überprüft!»
«Es gibt keinen Zweifel, dass Valeria tot ist», bestätigte Laura. «Aber offensichtlich ist irgendjemand in ihre Rolle geschlüpft und hat so etwas wie einen Rachefeldzug begonnen.»
Maresciallo Sarbia stippte nervös die Asche aus dem Fenster. Er empfand sich gegenüber den Bewohnern seiner Dörfer eher als Beschützer denn als Ordnungshüter. «Warum?», fragte er und drehte sich zu Laura und Guerrini um. «Wer sollte ein Interesse daran haben? An wem sollten sie sich rächen?»
«Wir glauben inzwischen nicht mehr, dass Valeria Selbstmord begangen hat. Deshalb sind wir hergekommen, um Valeria und ihre Familie besser kennen zu lernen.»
Sarbia drückte die Zigarette in einem Aschenbecher aus, der draußen auf der Fensterbank stand. Der Aschenbecher war voll.
«Sie werden nichts herausfinden», murmelte er. «Da gibt es eine Menge Geheimnisse, und selbst ich erfahre immer nur einen Bruchteil dessen, was hier wirklich passiert. Nehmen Sie nur die regelmäßigen Einbrüche in die Autos der Touristen. Die Leute hier schieben alles auf andere. Auf die Toskaner hinter der Provinzgrenze, die Süditaliener, die Banden aus La Spezia oder sogar Genua. Einiges davon mag stimmen – aber es gibt auch junge Burschen aus dieser Gegend, die Autofenster einschlagen, um sich ein paar Euro extra zu verdienen. Ich habe noch keinen von denen erwischt, Signori!»
Laura warf Guerrini einen irritierten Blick zu.
«Aber Sie, Maresciallo, wissen doch sicher ein wenig über die Familie Cabun und
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