Die Löwin von Aquitanien
Euch eine Mahlzeit redlich verdient, Pierre.«
»Aber«, sagte William Longchamp verdutzt, »Ihr könnt doch nicht einfach in so einer Lage…«
Alienors Brauen zogen sich zusammen. »Ich kann nicht? Ihr werdet Euch noch wundern, William Longchamp, zu was ich imstande bin. Seit Monaten schlagen wir uns hier mit ständig neuen Bedrohungen herum, und wenn ich mitten darin essen will, dann tue ich es, merkt Euch das!« Heftig schob sie das Tintenfaß auf dem Tisch, an dem der Kanzleisekretär geschrieben hatte, zur Seite und setzte in großen Lettern ihre Unterschrift unter den Brief. Bevor sie mit stürmischen Schritten hinausging, warf sie ihm noch über die Schulter zu: »Und nur damit Ihr es wißt, ich werde mir während der ganzen Mahlzeit Lieder aus meiner Heimat anhören, und wenn Ihr es wagt, Euer langes Gesicht zu zeigen, werfe ich Euch hinaus!«
Die beiden Männer wechselten Blicke, nachdem sie den Raum verlassen hatte. »Sie ist die Königin«, sagte Pierre de Blois entschuldigend. »Ja«, stimmte William Longchamp mit einem schwachen Lächeln zu, »und wenn uns einer in dieser Zeit zusammenhält, dann ist sie das. Gott weiß, was geschehen würde, wenn sie nicht ständig von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt zöge und alle Menschen beschwörte, treu zu König Richard zu stehen - besonders die edlen Barone! Ich wüßte nur gerne, woher sie ihre Kraft nimmt.«
»Vielleicht aus einer Mahlzeit hin und wieder«, vermutete der Kanzleischreiber, und beide brachen sie in herzhaftes Lachen aus.
Philippe vereinbarte ein Treffen mit Heinrich VI. für Ende Juni.
Alienor erfuhr durch ihre geheimen Verbindungen, daß der Zweck dieser Begegnung sein würde, Richard von einem deutschen in ein französisches Gefängnis wandern zu lassen, wenn die beiden Herrscher sich über die Bedingungen einig werden könnten. Sie erhöhte ihr Angebot für das Lösegeld, doch dann zeigte sich, daß ihr Sohn selbst etwas gegen Philippes Pläne unternommen hatte.
Richard bewies, daß er nicht nur die Feldherrenbegabung seines Vaters, sondern auch die Redegewandtheit seiner Mutter geerbt hatte, und bot dem überraschten Kaiser an, zwischen ihm und seinen rebellischen Untertanen am Niederrhein zu vermitteln. Dabei kam ihm das Ansehen sehr zustatten, das er als Kreuzfahrerkönig, der unerschütterlich seine Gefangenschaft trug, bei den deutschen Fürsten genoß. Das Ergebnis war geradezu grotesk: Der englische König, immer unter strenger Bewachung, handelte einen Frieden mit den Feinden seines Kerkermeisters Heinrich von Hohenstaufen aus! Die wirkliche Leistung jedoch, die ihm das schriftliche Versprechen des Kaisers einbrachte, zukünftig auf Verhandlungen mit Philippe zu verzichten, war die Versöhnung zwischen dem Staufer und Heinrich von Sachsen.
Philippe reagierte prompt. Er verstieß seine Gattin Ingeborg von Dänemark am Morgen nach der Hochzeitsnacht, ließ seine Ehe von seinen Bischöfen annullieren und versuchte Agnes von Hohenstaufen, die Base des Kaisers, als Gemahlin zu gewinnen, um Richards neuem Einfluß entgegenzuwirken.
»Das«, kommentierte Alienor, als sie es hörte,»ist ein Gottesgeschenk. Unser überschlauer Philippe hat sich übernommen.« Sie umarmte den verblüfften Erzbischof von Rouen und summte eine kleine Melodie. »Schaut nicht so mißbilligend drein, Ehrwürden, das war kein Generalangriff auf Eure Tugend. Aber ist Euch klar, was das bedeutet? Philippe kann sich von seinem Bündnis mit Knut von Dänemark verabschieden, unsere Nordseeküste ist sicher, und ich glaube, wenn ich die Leiden der armen Ingeborg in einem Brief an Knut nur ausführlich genug beklage, kann ich statt dessen ein Bündnis mit ihm schließen.«
Sie rief eine ihrer Kammerfrauen und bat sie, ihr etwas zu trinken zu bringen. Dann lachte sie. »Und was Seine Heiligkeit den Papst angeht, ich bezweifle, daß er sehr angetan von Philippes Entscheidung sein wird. Ich muß daran denken, ihn zu fragen, ob er als Stellvertreter Christi eine solche Anmaßung dulden könne - besonders, da Philippe so töricht war, seine Ingeborg nicht vor, sondern nach der Hochzeitsnacht zu verstoßen.«
Sie befanden sich gerade in Oxford, und obwohl es abends immer noch regnete, hatte zumindest tagsüber jetzt die sommerliche Wärme eingesetzt. Die Sonne schien durch das mit Glasmalerei verzierte Fenster und tauchte Alienor in grüne und rote Schatten, als sie hinzufügte: »Ich denke, ich werde auch an den Kaiser schreiben und ihm anbieten, seine Base mit
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