Die Löwin von Aquitanien
seine Hand langsam über die Karte gleiten.
»Schön«, sagte er schließlich, »was wollt Ihr?«
»Daß Ihr meinen Sohn an dem festgesetzten Tag freilaßt, was sonst? Abgesehen davon, daß ich Euch die geforderte Summe sofort zahlen kann, und Philippe, wie ich schon erwähnte, wahrscheinlich nie - habt Ihr schon daran gedacht, daß Eure Reichsfürsten nichts von langwierigen französischen Zahlungen haben werden und das auch wissen? Wenn Ihr dagegen imstande wäret, sofort nach Sizilien aufzubrechen, könntet Ihr sie mit den dortigen Eroberungen großzügig versorgen, und das hielte sie gleichzeitig davon ab, über weitere Rebellionen hierzulande nachzugrübeln.« Sie hatte selbst erwogen, die Reichsfürsten zu bestechen, um den Kaiser unter Druck zu setzen, doch angesichts der riesigen Lösegeldsumme war das nicht möglich.
Heinrich schwieg. Die Stille im Raum wurde bedrohlich. Dann sagte er kalt: »Ich werde es in Erwägung ziehen.«
Alienor erhob sich und reichte ihm, ganz Königin, die Hand zum Kuß. »Ich habe nie daran gezweifelt, Euer Gnaden.«
Die Kurfürsten, Herzöge und Bischöfe des gesamten Heiligen Römischen Reichs waren anwesend, prunkvoll in ihre Ornate gekleidet, als Alienor Heinrich VI. feierlich einen goldenen Pokal als Symbol für die erfolgte Übergabe des Lösegelds reichte. Die bezahlte Summe belief sich auf 100.000 Mark, und weitere 50.000 sollten später folgen. Die Reichsfürsten hatten am heutigen Tag in einer er-regten Debatte alle einstimmig gefordert, man möge das Lösegeld annehmen.
Der Kaiser nahm den Kelch entgegen und hielt ihn einen Moment lang in der Hand, bevor er zu sprechen begann. »Die Vereinbarung, die ich mit Euch getroffen habe, ist damit gültig.« Er winkte einem seiner Gefolgsmänner, der rasch aus der Halle eilte. Heinrich hatte weder Alienor noch sonst einem der englischen Gesandten gestattet, Richard vor diesem Tag zu besuchen, so daß sie alle ungeduldig auf das Erscheinen des Königs warteten, der genau ein Jahr, sechs Wochen und drei Tage gefangengehalten worden war.
Alienor war fest entschlossen gewesen, sich vor Heinrich keinen Moment lang schwach zu zeigen, doch als sie ihren Sohn sah, der von drei Edelmännern begleitet hereingeführt wurde, ließ sie alle Vorsicht und Zurückhaltung fallen. Schon von weitem war sein leuchtendes rotes Haar zu erkennen. Sie vergaß ihr Alter, vergaß die anwesenden Zuschauer und lief ihm entgegen, als sei sie noch ein junges Mädchen.
Richard breitete die Arme aus, fing sie auf und preßte sie an sich.
Er vergrub sein Gesicht an ihrer Schulter und flüsterte: »Mutter, Mutter, Mutter.«
Sie hatte bis zum letzten Moment befürchtet, daß der Kaiser noch irgendeinen Weg finden würde, um sie zu hintergehen, und wie berechtigt diese Furcht gewesen war, zeigte sich jetzt, da Heinrich laut verkündete: »Bevor Ihr jedoch geht, Richard von England, möchte ich, daß Ihr mir den Lehnseid leistet.«
Richard war in seiner Gefangenschaft blaß geworden, aber nun schoß ihm das Blut ins Gesicht. »Was?« fragte er ungläubig.
»Ihr habt es gehört. Bezeichnet Euch als mein Vasall in Eurer Eigenschaft als König von England, und Ihr könnt gehen.«
Richard holte tief Luft. Alienor legte ihm eine Hand auf den Arm.
»Tue es«, flüsterte sie. »Du bist auch Philippes Vasall für deine Domänen auf dem Festland, und hindert dich das an irgend etwas?«
An Richards Schläfe pochte eine kleine Ader. Doch sie hatte recht. Es würde bei einer bloßen Geste bleiben, und jetzt kam es nur darauf an, so schnell wie möglich in sein Reich zurückzukehren - nach England und in die Normandie, wo Philippe zwar nicht Rouen, aber doch sehr viele wichtige Burgen und Städte erobert hatte.
»Gut«, sagte er schneidend, »wie Ihr wollt - Euer Gnaden.«
Er ging zu dem Staufer und leistete ihm in einer beleidigenden Eile den Lehnseid, den er heruntersprach, als sei es eine Steuerliste. Er war noch immer weit von seinen Ländereien entfernt, und er hatte es eilig, ein paar Rechnungen zu begleichen. Mit Philippe - und mit seinem Bruder John.
Als er geschworen hatte, kehrte er zu Alienor zurück und ergriff erneut ihre Hände. »Mutter«, sagte er leise, »ich habe Euch immer geliebt, aber für den heutigen Tag könnt Ihr von mir verlangen, was Ihr wollt. Es gibt nichts, das ich nicht für Euch geben würde.«
John stand, an ein Fenster gelehnt, in dem großen Haus, das er in diesem Dorf zu seinem Hauptquartier gemacht hatte. »Nun?« fragte
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