Die Löwin von Aquitanien
exkommunizieren und sein Land unter das Interdikt zu stellen, wenn der Erzbischof von Canterbury nicht unverzüglich wieder in seine Rechte eingesetzt würde. Henry kam ins Grübeln.
Diesmal hatte sich ein Teil der Bischöfe offen für Becket ausgesprochen, und auf die Loyalität seiner Adligen konnte er sich auch nicht wirklich verlassen. Im Fall einer Exkommunikation wäre Becket eine äußerst wirkungsvolle Waffe in der Hand des französischen Königs.
Und dann war da noch der beunruhigende Verdacht, daß Alienor mehr im Sinn hatte als nur Richards Nachfolge als Herzog von Aquitanien. Sicher, was konnte sie schon tun? Sie konnte noch nicht einmal die volle Souveränität über ihr Herzogtum beanspruchen, solange sie beide verheiratet waren, und diese Ehe würde bestimmt nicht annulliert werden.
Dennoch war ihm die Lage zu unsicher, als daß er, wie vor sechs Jahren, eine offene Konfrontation mit der Kirche riskiert hätte. Es fehlte ihm, gestand er sich widerwillig ein, der feste Rückhalt und die Unterstützung, die ihm seine Gemahlin als Regentin immer gegeben hatte. Also willigte er in eine von Louis vorgeschlagene Zusammenkunft mit Becket in Freteval ein.
Sie hatten sich beide über die Jahre verändert, doch als Henry Thomas Becket vor sich sah, wurde der alte Schmerz, der Zorn über Beckets Verrat an ihrer Freundschaft, von neuem in ihm wach. »Nun, hochwürdiger Erzbischof«, sagte er steinern, »es scheint, als würdet Ihr die Gelegenheit bekommen, Euren ehemaligen Schüler noch einmal zu krönen. Der Junge wird sich freuen. Das geschieht nicht vielen Königen.«
Louis griff vermittelnd ein, bevor Becket antworten konnte. »In der Tat«, sagte er hastig, »und ich muß verlangen, daß diesmal meine Tochter Marguerite ebenfalls gekrönt wird. Sie hat ein Recht darauf.
Schließlich ist sie mit Eurem Sohn verheiratet.«
»Hättet Ihr denn gewollt, daß sie von drei Prälaten gekrönt wird, für die unser hochwürdiger Erzbischof hier öffentlich die Exkommunikation fordert?« fragte Henry spöttisch. » Bedenkt, Euer Gnaden, so habt Ihr die Gelegenheit bekommen, Eure Tochter von dem außergewöhnlichsten Erzbischof geweiht zu sehen, den England je hatte.« Er blickte seinen Exkanzler an. »Von einem echten Heiligen, nicht wahr, Becket?«
Becket gab zurück: »Ich werde die Krönung an Eurem Sohn vornehmen, wenn Ihr meine Autorität als Erzbischof von Canterbury anerkennt.« Henrys Gesicht wurde starr. »Das werde ich. Seid so gut, mir als Gegenleistung zu schwören, die Landesrechte anzuerkennen.«
Ohne zu zögern und ohne zu bedenken, daß die Landesrechte in Henrys Augen auch die Konstitutionen von Clarendon einschlossen, sagte Becket: »Ich schwöre.«
Er wollte das Exil endlich beenden, und Frieden mit dem König zu schließen, ohne die Ehre Gottes zu verletzen, schien nun möglich.
Nicht, daß er den Zweifel ignoriert hätte, der in seinem Inneren schlummerte. Henry Plantagenet ein treuer, demütiger Sohn der Kirche? Doch aus welchem Grund auch immer, Becket schwor, und Louis sagte erleichtert: »Diese Versöhnung gereicht Euch beiden zu Ehren und wird endlich wieder den inneren Frieden im Lande her-stellen. Tauscht nun das Zeichen des Friedens miteinander aus.«
Louis, dachte Henry mit kurz aufflackerndem schwarzen Humor, war wirklich ein verhinderter Mönch. Doch dann richtete sich sein Augenmerk auf den tatsächlichen Priester vor ihm. Das Zeichen des Friedens also, der Friedenskuß, mit dem auch der Lehnsherr sich bei der Eidesleistung verpflichtete, seinen Vasallen mit seinem Leben zu schützen?
»Nein«, sagte er knapp und ohne weitere Erklärung, »ich halte das für unnötig.« Louis blickte bestürzt drein. Thomas Becket sah Henry lange an. Er erinnerte sich an den jungen Herzog der Normandie, der ihn vor nunmehr fast zwei Jahrzehnten in seinen Bann gezogen hatte.
Mit ein wenig belegter Stimme erwiderte er: »Ich werde nach England zurückkehren. Lebt wohl, mein König. Ich habe das Gefühl, daß wir uns auf dieser Erde niemals wiedersehen werden.«
Damit wandte er sich um und ging. Louis eilte ihm betroffen nach, und als er den Erzbischof eingeholt hatte, sagte er drängend: »Bleibt in Frankreich, ich bitte Euch. Hier seid Ihr sicher. Wißt Ihr nicht, was es bedeutet, daß er den Friedenskuß verweigert hat, der so heilig ist wie das Sakrament?«
»O doch«, antwortete Thomas Becket. »Ich weiß es.«
Am ersten Dezember 1170 ging der Erzbischof von Canterbury in Sandwich an
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