Die Loewin von Mogador
die Sachen deiner Herrin zusammen!
Morgen früh werdet ihr beide Qasr el Bahia verlassen. Ihr kehrt nach Aghmat
zurück. Scheich Udad bin Aziki von den Chiadma-Berbern wird euch begleiten.“
„Sayyid…“ Die alte schwarze Frau blickte ihn
erschrocken an, aber er fiel ihr unwirsch ins Wort: „Geh! Sag deiner Herrin,
dass sie sich bereithalten soll!“
„Sehr wohl, Herr.“ Sie huschte davon.
„Sie können nicht zurück nach Aghmat,
Sayyida! Sie wissen, dass Ihr Vater Sie bestrafen wird!“ Tamra, Aynurs
Dienerin, lief aufgeregt in dem kleinen Raum hin und her, der den beiden Frauen
während der letzten sechs Wochen als Schlafkammer gedient hatte.
„Aber was soll ich denn machen?“ Aynur hatte
durch das Fenster in den Innenhof geblickt. Jetzt stieß sie sich mit beiden
Händen vom Sims ab, so dass ihre Armreife klirrten. „Er will mich nicht! Er hat
mich ja nicht ein einziges Mal angesehen!“ Sie klang verzweifelt.
Sieben Jahre alt war sie gewesen, als ihr
Vater sie nach Marrakesch in den Harem des Sultans geschickt hatte.
„Meine kleine Blume, du bist schöner als der
volle Mond, wenn er über den Gipfeln des Atlas aufsteigt“, hatte er zum
Abschied gesagt. „Sorge dafür, dass deine Schönheit dem Sultan ins Auge fällt!
Dann wird er dir folgen, wie ein Hündchen seiner Herrin folgt, und tun, was du
willst – zum Wohle unserer Familie.“
In den nächsten zehn Jahren hatte Aynur am
Hof eine sorgfältige Erziehung erhalten. Sie konnte Gedichte von al Dschahiz,
dem Glotzäugigen, ebenso gut vortragen wie Fabeln von Ibn al Mukaffa und die
erotischen Verse des Persers Hafes. Sie spielte die Laute und sang. Sie tanzte
leichtfüßig zu den Klängen von Flöte und Riq, sie konnte Mokka zubereiten und
anmutig servieren, und bei dieser Tätigkeit war endlich das Auge des Herrschers
auf sie gefallen. Wie ihr Vater vorhergesagt hatte, war der Sultan entzückt.
Noch am selben Abend wurde sie gebadet, geschminkt, mit Juwelen und Perlen
geschmückt und nach kostbaren Ölen duftend in das Schlafgemach Abd Er Rahmans
geführt. Aber sie hatte versagt. Der Anblick des ältlichen Mannes, seiner
teigigen Haut, seines faltigen Gesichtes und der fleckigen Zähne hatten sie
geekelt. Als er sie berühren wollte, hatte sie sich wie eine ängstliche Katze
hinter dem Bett versteckt, und als er sie auf die Polster gezerrt und mit
gierigen Fingern betastet hatte, war es mit ihrer Beherrschung vorbei gewesen,
und sie hatte sich nach Leibeskräften gewehrt.
Nach dieser misslungenen Nacht war sie am Hof
eine Geächtete. Die Frauen des Harems von der Lieblingskonkubine bis zur
niedrigsten Sklavin lachten sie aus. Abd Er Rahman gab Befehl, dass sie ihm nie
wieder unter die Augen kommen dürfte. Ihre Familie, die fürchtete, dass nun der
ganze Clan beim Herrscherhaus in Ungnade fiel, ließ sie links liegen.
Der Ausländer, ihr neuer Gebieter, bedeutete
ihre letzte Chance. Auch dieser Mann war nicht mehr ganz jung, doch er war
ansehnlich und von schöner Gestalt. Sie könnte Gefallen an ihm finden. Noch
mehr aber gefiel ihr die Vorstellung, Herrin von Qasr el Bahia zu werden.
„Er hat mich ja noch nicht einmal angesehen“,
wiederholte sie jetzt ratlos. „Dabei habe ich weder schiefe Zähne noch Warzen
im Gesicht, und unberührt bin ich auch!“
„Es muss eine andere Frau geben, die sein Herz gefangen hält“, behauptete
Tamra. „Sie müssen dafür sorgen, dass er diese Frau vergisst! Einen anderen Weg
gibt es für Sie nicht.“ Sie betrachtete Aynur nachdenklich. „Wie weit ist Ihr
monatlicher Rhythmus?“
Aynur überlegte kurz. „In vierzehn Tagen ist
Vollmond. Dann beginnt er von neuem.“
„Also sind Sie jetzt bereit für seinen
Samen!“ Die alte Dienerin wurde ganz aufgeregt. „Heute Nacht müssen Sie ihn in
Ihr Bett locken. Vergessen Sie nicht: Sie haben nur diese eine Nacht, um Ihr
Leben zu retten!“
Aynurs Miene hellte sich auf, als sie
verstand, was Tamra meinte, und spann die Idee sogleich weiter: „Geh zu dem
Ausländer, und lade ihn für heute Abend ein! Sag ihm, ich möchte ein
Abschiedsmahl für ihn kochen.“ Sie lief zu einer Kommode, auf der ein
geschnitztes Holzkästchen stand, öffnete es, nahm eine erbsengroße, mit
Blattgold belegte Kugel heraus und hielt sie zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Ich werde seine Speisen mit dem Nektar des
Paradieses würzen. Und dann werde ich die fremde Frau aus seinem Herzen
reißen.“
Tamra nickte feierlich. „Inschallah. So soll
es
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