Die Loewin von Mogador
etwas
langsamer.
„Guten Tag, André!“ Die Reiterin auf dem
Pferd zügelte ihr Tier direkt vor ihm. „Deine Wegbeschreibung war wirklich gut.
Wir haben Qasr el Bahia ganz leicht gefunden.“
Er fühlte sich, als hätte ihn der Schlag
getroffen. „Sibylla! Was tust du denn hier?“
„Nachdem wir uns sechs Wochen nicht gesehen
haben, scheinst du dich nicht besonders zu freuen, dass ich hier bin“,
erwiderte sie gekränkt. Sie drehte sich im Sattel zu ihrer Begleiterin auf dem
Esel um. „Vielleicht war meine Idee, Monsieur Rouston zu besuchen, doch nicht
so gut, Nadira.“
„Mais oui! Natürlich!“, beeilte André sich zu
erwidern. Doch der Schmerz in seinem Kopf pochte heftiger.
Sibylla musterte ihn kritisch. „Du siehst
krank aus. Ich werde dir einen Tee und eine gute kräftige Suppe kochen!“ Sie
wollte vom Pferd steigen, aber plötzlich hielt sie inne.
Langsam drehte er sich um. Kaum zwei Meter
entfernt stand Aynur, jung und schön wie die aufgehende Sonne in einem
perlenbestickten Gewand mit einem dünnen roten Schleier über dem schwarzen
Haar. Ihre braunen Augen glitten von André zu Sibylla und dann wieder zu André.
„Wer ist das, Liebster?“, fragte sie sanft.
„Ist sie deine andere Ehefrau? Oder ist sie nur deine Konkubine?“
Der Schmerz in Andrés Kopf kam einem
Gewitterdonner gleich. Er blickte zu Sibylla und suchte, verzweifelt nach
Worten ringend, seine Erinnerungen an die letzte Nacht.
Sie musterte ihn eisig. „Jetzt verstehe ich,
was dich sechs Wochen davon abgehalten hat, mich zu besuchen! Komm, Nadira, wir
wollen nicht länger stören!“ Sie riss ihr Pferd herum und galoppierte durch das
Tor davon.
„Sie wissen es doch auch, Herrin, nicht
wahr?“, begann Nadira, als sie drei Tage nach ihrer Rückkehr von Qasr el Bahia
mit dem Teetablett neben Sibylla stand. „Sie erwarten wieder ein Kind.“
Sibylla, die an ihrem Schreibtisch saß und
über Benjamins Lieferantenlisten gebrütet hatte, stützte den Kopf in ihre
Hände. „Ich habe versucht, mir einzureden, dass ich mir nur den Magen verdorben
habe.“
Lange hatte sie die Anzeichen nicht wahrhaben
wollen. Seit Benjamins Tod war sie so beschäftigt gewesen, ihr Leben neu zu
ordnen. Die bleierne Müdigkeit, das Bedürfnis, den ganzen Tag zu schlafen, und
das Unwohlsein hatte sie auf die viele Arbeit geschoben, allenfalls noch auf
den Kummer wegen André. Sie war so bitter enttäuscht! Zum ersten Mal in ihrem
Leben hatte sie sich einem Mann geöffnet, hatte sich ihm mit Körper und Seele
hingegeben. Und während sie noch voller Glück gewesen war, hatte er sich eine
andere ins Bett geholt!
„Ich habe mir immer gewünscht, noch ein
drittes Kind zu bekommen“, sagte sie leise. „Aber jetzt… ich fühle überhaupt
nichts.“
Nadira stellte das Tablett behutsam auf
Sibyllas Schreibtisch. „Ein neues Leben ist immer ein Geschenk, Herrin.“ Sie
schob ihr das dampfende Teeglas hin. „Werden Sie es Monsieur Rouston sagen,
Herrin?“
Sibylla starrte sie an. „Du weißt, dass es
sein Kind ist?“
Nadira senkte den Kopf. „Jawohl, Herrin.“
„Wer weiß es noch außer dir?“
„Die anderen Diener ahnen nichts. Sie wissen
noch nicht einmal, dass Sie schwanger sind.“
„Aber dir ist es doch auch aufgefallen!“
„Ich bin auch Ihre persönliche Dienerin,
Herrin!“ Nadira klang gekränkt. „Natürlich habe ich die Anzeichen bemerkt.
Nachdem wir bei Monsieur Rouston waren, wurde mir dann alles ganz klar.“
Sibylla musste gegen ihren Willen lächeln.
„Ich bin froh, dich bei mir zu haben.“ Sie wurde wieder ernst. „Wir beide
teilen jetzt ein Geheimnis, Nadira. Aber außer uns soll es niemand wissen,
hörst du? Niemand! Für alle Leute, auch für meine Familie, ist Mr. Hopkins der
Vater des Kindes. Kann ich dir vertrauen, Nadira?“
Das schwarze Gesicht der Dienerin wirkte wie
gemeißelt. „Mein Mund ist versiegelt, Herrin.“
Als Sibylla wieder allein war, widmete sie
sich den Papieren auf ihrem Schreibtisch. Zum ersten Mal, seit sie von Qasr el
Bahia zurückgekehrt war, fühlte sie, wie ihre Verzweiflung nachließ. Es hatte
gutgetan, sich Nadira anzuvertrauen. Von nun an ging das Leben weiter. André
würde sie vergessen!
Sie vertiefte sich wieder in Benjamins
Listen, als sie von Lärm und lauten Stimmen auf der Straße vor dem Haus
aufgeschreckt wurde.
Sibylla schlug mit der flachen Hand auf die
Tischplatte. Hatte sie denn niemals Ruhe? Zornig schob sie ihren Stuhl zurück
und eilte aus dem
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