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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Mann!“
    Emily nickte. „Aber nicht so einer, wie du
denkst. Er war in England und hat dort europäische Heilkunde studiert.“
    Sabris Bild tauchte vor ihrem inneren Auge
auf, wie er an jenem Tag in seinem Behandlungszimmer davon gesprochen hatte,
dass er sie gern ausführen würde. Sie hatte sich oft gefragt, was er ihr noch
alles gesagt hätte, wenn Thomas nicht hereingeplatzt wäre. Ihr Bruder hatte
alles verdorben, nicht nur den wunderbaren Moment mit Sabri, er hatte ihr
ganzes Glück zerstört!
    Sie schluckte schwer. „Kannst du mir sagen,
ob in meiner Hand eine gemeinsame Zukunft für uns steht?“
    Malika beugte sich wieder vor. „Ihr werdet
Schwierigkeiten haben“, antwortete sie ernst. „Es wird Enttäuschungen geben,
aber wenn ihr stark bleibt, wird-“
    Ein Schatten fiel über die beiden Mädchen.
„Hier seid ihr also - und schreckt zusammen wie ertappte Diebe in der Nacht!
Ich hoffe, es liegt an eurem schlechten Gewissen, weil ihr euch vor der Arbeit
drückt!“ André stand vor ihnen, die Hände in die Hüften gestützt, aber in
seinen Augen tanzte der Schalk.
    „Vater!“ Emily entzog Malika rasch ihre Hand.
„Was machst du denn hier?“
    „Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit
mir zu kommen. Wir bringen den Männern, die das neue Feld roden, ihr
Mittagessen und reiten danach aus.“
    „Furchtbar gern!“ Emily sprang auf.
     
    Das neue Feld lag auf einer
sonnenbeschienenen Hochfläche, die an Aynurs Gemüsegarten und einen
Orangenhain, in dem Bienenkörbe standen, grenzte. Dahinter stiegen die Hänge
des Atlas an, bis zu den schneebedeckten Gipfeln, die in weiter Ferne bläulich
schimmerten. Die Männer hatten das Gestrüpp abgebrannt, aber die Wurzeln
mussten sie mühevoll aus der Erde hacken. Schon von weitem sah Emily den großen
Haufen am Feldrand. Meckernde Ziegen sprangen auf der mit verkohlten Ästen,
Steinen und tiefen Löchern übersäten Fläche herum, André junior und seine
Spielkameraden beaufsichtigten sie. Emily dachte, dass noch viel Arbeit und
Mühe nötig wären, bis die Männer diese Kraterlandschaft in einen Acker verwandelt
hätten. Auch Bewässerungsgräben und Schutzmauern aus Feldstein mussten noch
errichtet werden.
    Sie stiegen von ihren Pferden, als die
Arbeiter gerade das Mittagsgebet beendet hatten. Auf Qasr el Bahia gab es
keinen Muezzin. Deshalb bestimmten die Leute ihre Gebetszeiten nach der Morgen-
und Abenddämmerung, dem Stand der Sonne oder nach der Länge der Schatten.
    Emily führte den Lastenesel zu ein paar
Mandelbäumen, unter denen die Männer lagerten, und packte Fladenbrot, in
Olivenöl eingelegtes Gemüse, Ziegenkäse, getrocknetes Fleisch und frische
Orangen aus.
    Nach dem Essen zog einer der Männer eine
Flöte aus seinem Kittel und begann, zu spielen, ein anderer stimmte ein Lied
an, der Rest klatschte im Takt und sang den Refrain. Emily verstand den Dialekt
der Ait Zelten noch nicht sehr gut, aber André erklärte ihr, dass das Lied eine
alte Legende der Imazighen – der „freien Menschen“, wie die Berbervölker sich
selbst nannten – erzählte.
    „In grauer Vorzeit offenbarte Allah den
freien Menschen das Wissen um Ackerbau und Weberei. Pflug und Webrahmen sind
sein Geschenk an sie. In ihrem Lied besingen die Ait Zelten den Ackerbau, der
eine heilige Tätigkeit darstellt, genau wie die Kunst des Webens. Wenn sie das
neue Feld pflügen, wirst du merken, dass sie die Furchen immer im rechten
Winkel zueinander graben. So bilden sie das Webmuster eines Teppichs aus
Kettfaden und Schuss nach. Damit ehren sie Allah und schützen das Land vor den
Kräften böser Dämonen.“ Er berührte Emilys Schulter. „Wollen wir aufbrechen?“
    „Gern!“ Sie stand auf.
    „Baba!“, rief André junior aufgeregt. „Da
drüben! Schau!“
    Aus dem Orangenhain galoppierte ein Trupp von
sechs Reitern. Unter dem raschen Hufschlag ihrer Pferde krachten auf dem Boden
liegende Äste und Zweige. Wüste Schreie ausstoßend und Gewehre schwenkend,
hielten sie auf André zu. Plötzlich knallte ein Schuss. Laut hallte sein Echo
von den Felsen wider. André junior hielt sich schreiend die Ohren zu. Männer
und Kinder sprangen auf und rannten durcheinander.
    André tastete nach seinem Gewehr und stieß
einen wüsten Fluch aus, als ihm bewusst wurde, dass es mehrere Meter von ihm
entfernt an seinem Sattel hing. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich,
dass niemand getroffen worden war. Emily hatte geistesgegenwärtig ihren kleinen
Bruder zu Boden

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