Die Loewin von Mogador
gestoßen und sich über ihn geworfen. Die Männer der Ait Zelten
hatten die übrigen Kinder in ihre Mitte genommen. Aber sie waren so gut wie
unbewaffnet. Manche hatten sich zwar Hacken und Schaufeln geschnappt, einige
ein Messer aus dem Gürtel gerissen, aber keiner trug ein Gewehr.
„Vater!“, schrie Emily. „Pass auf!“
Die Reiter hielten mit unvermindertem Tempo
auf André zu. Voller Angst beobachtete sie, dass er keinen Schritt zurückwich.
Erst im letzten Moment parierte die Gruppe scharf durch. Ihre Pferde stiegen
mit wild schlagenden Hufen, aber André wich keinen Millimeter.
Emily umschlang ihren kleinen Bruder, der
sich ängstlich an sie drückte, und musterte die Störenfriede vorsichtig. Es
handelte sich um junge Männer der Ait Zelten, höchstens so alt wie sie selbst.
Nur der Anführer war etwas älter. Er hatte fanatisch glühende Augen und ein
rotes Feuermal, das vom linken Auge quer über sein Gesicht verlief. Stolz saß
er auf seinem Pferd, die Zügel in der einen Hand, in der anderen schwenkte er
drohend sein Gewehr.
André trat einen Schritt auf ihn zu. „Was für
eine Heldentat, auf Kinder und Unbewaffnete zu schießen!“, spottete er. „Und
ihr wollt Männer sein?“
„Dreckiger Ausländer!“, zischte der mit dem
Feuermal hasserfüllt. „Deine Gier verschlingt unser Land, wie die Wüste eine
fruchtbare Oase verschlingt! Verschwinde mit deiner Brut zurück zu den
Ungläubigen!“
„Schande über dich, dass du unsere
Freundschaft mit dem Faransawi besudelst! Du bist kein Mann, sondern ein
ehrloser Feigling! Reite heim, und kriech zurück in den Schoß deiner Mutter!“
Der Scheich der Ait Zelten war neben André getreten und schüttelte
angriffslustig seine erdverschmierten Fäuste.
In der Gruppe der Reiter wurde böses Gemurmel
laut. Der Anführer zielte mit seiner Waffe auf den Mann. „Du Sohn eines
räudigen Hundes verrätst unser Volk an einen Ungläubigen!“
„Genug!“ André reichte es. „Nehmt die Waffen
runter! Die Läufe sind zwar krumm wie die Hörner einer Bergziege, aber einen
Unschuldigen können sie immer noch treffen! Und jetzt“, wandte er sich an den
Anführer, der widerwillig sein Gewehr senkte, „hör mir gut zu: Mehr als zwanzig
Jahre leben die Ait Zelten und ich in friedlicher Nachbarschaft. Glaubst du
wirklich, du könntest mir befehlen, den Grund und Boden zu verlassen, den zwei
Sultane Marokkos mir geschenkt haben? Was glaubt ihr, wer ihr seid?!“
„Der Faransawi hat recht“, mischte der
Scheich der Ait Zelten sich wieder ein. „Nachdem wir den größten Teil unserer
Herden verloren hatten und hungerten, hat er uns geholfen. Ohne ihn wären eure
erbärmlichen Knochen längst zu Staub zerfallen! Er ist ein Ungläubiger, aber er
ist ein Freund, und ihr zeigt eure Dankbarkeit mit Hass! Schande über euch!“
„Hätte er sich nicht auf unserem Land
ausgebreitet, wären wir nicht in Not geraten. Hier“, der Anführer beschrieb mit
seinem Arm einen weiten Kreis, „haben unsere Ziegen geweidet, bevor er
auftauchte. Kein Sultan kann dieses Land verschenken. Es gehörte uns, lange
bevor die Araber kamen!“
„Ay, ay!“, riefen die Reiter zustimmend.
„Dieses Gerede vernahm ich bereits vor
zwanzig Jahren von dir. Schon damals hat dieses Land euren Herden nicht mehr
gehört“, erwiderte André. „Aber jetzt gibt es vielen Menschen Nahrung. Steigt
von den Pferden, und helft, euer Volk zu ernähren, statt ihm eine Last zu
sein!“
Der Anführer gestikulierte mit seinem Gewehr
in Richtung der Ait Zelten, die die Auseinandersetzung wortlos verfolgten.
„Was ist mit euch? Seid ihr Freie oder alte
Frauen, denen jeder befehlen darf?“
Zur Antwort scharten die Männer sich hinter
André und ihren Scheich, ein stummer drohender Schutzwall in seinem Rücken.
„Schande über euch, dass ihr für den
Ungläubigen den Rücken krumm macht!“ Er spuckte vor André aus. Dann riss er
sein Pferd herum und galoppierte, gefolgt von seiner Bande, durch den
Orangenhain davon.
Nachdem die Aufregung sich gelegt und André
sich vergewissert hatte, dass die jungen Aufrührer sich nicht noch irgendwo in
der Nähe des Gutes herumtrieben, ritt er mit Emily zu einem Hochplateau, das
sich eine halbe Stunde bergaufwärts nordöstlich von Qasr el Bahia befand.
Von dort blickte Emily über einen lichten
Wald aus Zedern und Tuja bis zu der Stelle, wo der Oued Igrounzar mit dem Oued
Zeltene zusammenfloss. Dazwischen lag Qasr el Bahia, das mit seinen
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