Die Loewin von Mogador
trutzigen
Lehmmauern des Gutes trieben.
Sie hatte Aynur gezeichnet, wie sie die
Gräber ihrer kleinen Töchter unter der knorrigen alten Steineiche in ihrem
Garten hinter dem Gut mit den ersten zarten Frühlingsblumen geschmückt hatte,
und Malika an einem Abend im April, als eine Gruppe Gaukler und Märchenerzähler
auf das Gut gekommen war und sie mit ihnen vor den Flammen des Lagerfeuers
getanzt hatte.
„Diese Arbeit gehört wohl nicht zu deinen
liebsten Beschäftigungen, Schwester.“ Malika riss Emily aus ihren Gedanken.
„Warte nur, wenn erst Babas neues Feld gerodet ist! Dann wirst du nachts nicht
mehr wissen, wie du vor Schmerz liegen sollst.“
Im letzten Jahr hatte André als Dank für die
Übersetzung eines militärischen Standardwerkes ins Arabische von Sultan Sidi
Mohammed ein weiteres Stück Land erhalten, das im Osten an das Gut grenzte.
Dort wollte er noch ein Safranfeld anlegen. Doch noch waren die Männer der Ait Zelten
damit beschäftigt, das Gestrüpp zu roden und die Wurzelstöcke auszugraben.
„Warte nur selbst! Das viele Bücken wird dich
schief und krumm machen wie die alte Tamra, und so male ich dich dann!“, drohte
Emily.
Malika lachte nur. Sie wusste, wie hübsch sie
war. „Ich habe einen besseren Vorschlag. Aber du musst mir versprechen, dass du
mit niemandem darüber redest!“ Rasch sah sie sich nach ihrer Mutter um, aber
Aynur tadelte gerade Christian, der geträumt hatte, statt aufzupassen, dass das
Maultier gerade Furchen zog.
Emily nickte. „Worum geht es?“
Malika huschte neben sie. „Du malst mich in
meinem Zimmer, wie ich auf dem Bett liege“, raunte sie ihr geheimnisvoll zu.
„In Ordnung, aber musst du deshalb flüstern?“
„Es soll kein gewöhnliches Bild werden …“
„Sondern?“
„Ach, du verstehst aber auch gar nichts!“
Malika blickte noch einmal zu ihrer Mutter. Dann wisperte sie: „Ich habe nichts
an, höchstens einen Schal.“
„Du meinst einen Akt. Warum sagst du das
nicht gleich?“
Aynur drehte sich um und sah prüfend zu den
Mädchen.
„Was ist ein Akt?“, wisperte Malika, als
Aynur sich wieder über die Ackerfurche beugte.
„Das ist die Abbildung eines nackten
Menschen“, erklärte Emily überlegen. „In der europäischen Kunst kommt so etwas
häufig vor.“ Sie hatte zwar noch nie einen Akt gezeichnet, geschweige denn,
einen gesehen, aber sie hatte schon alles darüber gelesen – im Handbuch der
Geschichte der Malerei, das Oscar ihr aus England geschickt hatte.
„Dann machst du es?“, drängte Malika. „Und ich
darf es behalten?“
Emily runzelte die Stirn. „Ich habe noch nie
eines meiner Bilder verschenkt. Ich brauche sie für die Mappe, die ich meinem
Lehrer an der Kunstakademie in London vorlegen werde.“
Sie brach ab, denn ihr fiel ein, dass sie ihr
Studium wegen des Streits mit ihrer Mutter nicht angetreten hatte. Bei diesem
Gedanken verspürte sie einen unerwarteten Stich im Herzen.
„Willst du das Bild jemandem schenken?“,
fragte Emily neugierig. „Einem jungen Mann vielleicht?“
Malika schüttelte den Kopf. „Ich will es ganz
allein für mich und mich noch daran erfreuen, wenn ich einmal dick und alt bin.
Zur Erinnerung an dich will ich es auch, wenn du einmal eine berühmte Malerin
geworden bist. Du sollst es mir auch nicht umsonst geben. Ich bezahle dich
dafür.“
„Ach ja?“ Soweit Emily wusste, verfügte
Malika genauso wenig über eigenes Geld wie sie selbst.
„Ich lese dir aus der Hand.“
„Oh.“ Emily war enttäuscht. „Weißt du, ich
glaube nicht daran, dass meine Zukunft in meiner Hand geschrieben steht. Das
ist Hokuspokus.“
„Das kann nicht dein Ernst sein! Dein ganzes
Leben, jede Wendung des Schicksals steht in den Linien deiner Hand. Du musst
nur wissen, wie du sie enträtselst. Also, was sagst du?“
Emily drehte ihre Hände um und schaute
darauf, aber sosehr sie sich auch anstrengte, sie sah nur lange und kurze, mehr
oder weniger zerfurchte Linien und von Erde verschmutzte Finger.
„Lass mich mal!“, verlangte Malika. „Dann
beweise ich dir, wie gut ich bin! Tamra hat mir das Handlesen beigebracht, und
sie weiß alles darüber.“
Bevor Emily reagieren konnte, fasste Malika
sie am Arm und zerrte sie zum Feldrand.
„Setz dich!“ Als Emily zögerte, versetzte
Malika ihr einen kleinen Schubs. „Nun stell dich doch nicht so an! Du willst
doch auch wissen, wer der Mann ist, den das Schicksal für dich ausgesucht hat!“
Schlagartig fiel Emily Sabri ein. Ob es
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