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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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seine Stimme:
„Ich bin John Hopkins. Bitte setz dich, Frédéric, und berichte uns alles!“
    Frédéric Rouston ließ sich wieder auf den
Diwan sinken. Er sah erschöpft und verschmutzt aus und fuhr sich mit den
Fingern durch das wirre schwarze Haar.
    „Bring unserem Gast etwas zu essen und zu
trinken!“, befahl Sibylla Nadira, die an der Tür gewartet hatte. Als die
Dienerin mit einem Tablett wieder hereinkam, griff Frédéric zuerst nach dem
Wasserkrug, goss sich einen Becher ein und trank gierig. „Entschuldigen Sie!“,
sagte er und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Ich bin seit dem
Morgen ohne Pause geritten.“
    Sibylla starrte auf die blutverkrustete
Schramme auf seinem Handrücken. „Ich bin froh, dass du den Weg zu uns gefunden
hast, und wenn du gegessen hast, erzählst du, was auf dem Gut passiert ist.“
    Frédéric schlang den Couscous, das Fleisch
und das Brot gierig wie ein Wolf herunter. Dazu leerte er zwei Krüge Wasser.
Schließlich schob er Teller und Schüsseln beiseite und begann dumpf: „Es war
schrecklich, nur einer glücklichen Fügung des Schicksals verdanken wir, dass
sie uns nicht alle umgebracht haben…“

Kapitel
achtundzwanzig - Qasr el Bahia am selben Morgen
     
    Früh am Morgen über den Gipfeln des Hohen
Atlas schimmerte gerade das erste blaugraue Tageslicht, als André vor die große
Atlaszeder mitten auf dem Hof des Gutes trat und in die Hände klatschte: „Heute
holen wir uns zum letzten Mal für diese Saison einen krummen Rücken, und morgen
feiern wir die beste Safranernte der letzten Jahre!“
    „Ay! So sei es!“ Sechzig Männer, Frauen und
Kinder der Ait Zelten, die auf Decken und Teppichen auf dem Erdboden saßen,
lachten und klatschten zustimmend. Seit zwei Wochen campierten sie in ihren Khaimas, ihren Zelten aus Ziegenhaar, im Hof von Qasr el Bahia.
Bei Tagesanbruch hatten sie wie jeden Morgen zusammen mit André und seiner
Familie ein nahrhaftes Frühstück gegessen, und gleich würde es auf die Felder
gehen. Sogar die alte Tamra war dabei. Frédéric und Christian hatten sie auf
ihrem Lehnstuhl unter die große Zeder getragen, wo Aynur sie zum Schutz vor der
frischen Morgenluft in eine wollene Decke gehüllt hatte.
    „Ich trage die Teekannen in die Küche!“ André
junior lief eifrig zu der großen Feuerstelle in der Mitte des Lagers, wo
mehrere große Messingkannen auf den warmen Begrenzungssteinen standen.
    „Ich fange dann auch mal an, mir einen
krummen Rücken zu holen!“ Malika begann, leer gegessene Couscousschalen
ineinanderzustapeln. „Nanu, was ist denn da vom Himmel gefallen?“ Sie hielt
eine Hand in die Höhe. Zwischen Daumen und Zeigefinger zappelte ein längliches
braun geflecktes Insekt mit kräftigen Sprungbeinen, runden schwarzen Augen und
spinnwebzarten Flügeln.
    „Eine Heuschrecke! Igitt!“ Emily, die die
Körbe mit den letzten Resten frischgebackenen Fladenbrotes eingesammelt hatte,
verzog angewidert das Gesicht.
    „Was sagst du da?“ André trat neben Malika
und nahm das Insekt ebenfalls in Augenschein.
    „Pfui! Jetzt ist mir eine auf die Schulter
gefallen!“ Emily schüttelte sich. Die Heuschrecke fiel auf den Boden, und sie
trat heftig mit dem Stiefelabsatz darauf.
    André starrte einige Sekunden wortlos auf das
tote Insekt und blickte dann zum Horizont. Über dem Hohen Atlas kündigte
rosiges und goldenes Licht den Sonnenaufgang an. Zwischen den Berggipfeln aber
erstreckte sich ein dünner dunkelgrauer Streifen.
    Er kniff die Augen zusammen und blinzelte.
Waren das noch die letzten Reste des Nachthimmels oder etwas anderes? Er konnte
es nicht erkennen.
    „Ist alles in Ordnung?“ Aynur war neben ihn
getreten und sah ihn fragend an.
    „Ich bin mir nicht sicher.“ Er zeigte ihr die
Heuschrecke, die Malika gefunden hatte und die jetzt zwischen seinen Fingern
zappelte.
    Aynurs Augen weiteten sich. „Die Zähne des
Windes, ein schlechtes Omen.“ Sie schlug sich mit der Faust gegen die Brust.
„Am Tage, da der Rufer ruft zu schlimmem Geschehen, kommen sie aus ihren
Gräbern hervor. Allah helfe uns!“
    „Hör auf damit! Willst du die Leute
verängstigen?“ André hielt sie fest. „Wir sollten lieber zusehen, dass wir so
schnell wie möglich den restlichen Safran ernten!“
    „Frédéric!“ Er winkte seinem Ältesten. „Geh
mit Christian das Tor öffnen! Und dann raus auf die Felder!“
    Er warf die Heuschrecke auf den Boden und
zertrat sie wie zuvor Emily. „Mach dir keine Sorgen!“, beruhigte er

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