Die Loewin von Mogador
Aynur, die
ihn mit geweiteten Augen beobachtete. „Du bist einfach viel zu abergläubisch.“
Er legte einen Arm um sie. „Lass uns schauen, ob der Safran, den wir gestern
gezupft haben, schon trocken ist!“ Zusammen liefen sie zur Scheune. Hier befand
sich die Safran-Stellage, auf der die gestrige Ernte trocknete, unzählige winzige
dünne Fäden, die im Schein der Öllampe, die André angezündet hatte, rotgolden
glühten.
Er stellte die Öllampe auf den Boden, beugte
sich über den Safran und atmete den kräftigen aromatischen Duft nach Sonne und
Erde ein. Behutsam, als würde er eine Frau liebkosen, hob er ein paar der
dünnen Fäden auf, zerrieb sie zwischen seinen Fingerspitzen und kostete. Der
Safran schmeckte ein wenig bitter, ein wenig süß und ein wenig nach dem
würzigen Rauch eines Holzfeuers.
“Wunderbar!“, sagte er zufrieden zu Aynur,
die neben ihm stand und ihn musterte. „Ich freue mich schon unbändig auf deine
gerösteten Rindermarkknochen mit Safransoße!“
„Dann können die Fäden zu der übrigen Ernte
in den Turm?“, fragte sie gespannt.
„Ja. Nächste Woche reite ich nach Mogador und
verkaufe unser rotes Gold zum Höchstpreis!“ Vor lauter Freude über die
außergewöhnlich gute Ernte fasste er Aynur um die Taille, hob sie hoch und
drehte sich mit ihr im Kreis. „Was soll ich dir aus der Stadt mitbringen?
Indische Seide für ein neues Kleid? Oder ein schönes Schmuckstück?“
„Bekomme ich auch beides?“ Sie lächelte ihm
schelmnisch zu. Er setzte sie behutsam wieder auf den Boden. „Alles, was du
willst. Ich weiß doch genau, dass Qasr el Bahia ohne dich nicht wäre, was es
ist. Du sorgst tagaus, tagein dafür, dass hier alles seinen geregelten Gang
geht.“
Sie lächelte geschmeichelt, aber sie wusste,
dass sein Lob gerechtfertigt war. Jeden Morgen ging sie mit den Ait Zelten auf
die Terrassenfelder und pflückte in unsagbar aufwendiger Kleinarbeit Tausende
zartlila Krokusblüten, bis ihr Rücken so schmerzte, dass sie sich kaum noch
aufrichten konnte. Dennoch trieb sie die Helfer unaufhörlich zur Eile an. Die
Ernte musste schnell gehen. Stand erst die Sonne über den Feldern, so dass die
Blüten sich in der Wärme öffneten, verloren die darin verborgenen Safranfäden
ihr kostbares Aroma. Später begann der angenehme Teil der Ernte. Dann saßen
alle auf dem Hof zusammen, sangen Lieder und erzählten Gesichten, während sie
flink und geschickt die zarten Fäden aus den Blüten zupften. Dazwischen
tummelten sich die Kinder und sammelten die leeren Blüten ein, um sie später an
die Kühe und Ziegen zu verfüttern. Aynur sorgte währenddessen dafür, dass stets
genug frischer stark gesüßter Pfefferminztee bereitstand, und wachte mit
Argusaugen darüber, dass auch nicht ein einziger kostbarer Blütenfaden heimlich
in den weiten Röcken der Berberfrauen verschwand.
„Hier.“ André reichte ihr einen Leinensack.
Sie füllte den Safran von der Stellage hinein und verschnürte ihn sorgsam. „Dieses
Jahr werde ich dich nach Mogador begleiten.“
Er starrte sie verblüfft an. „Aber du warst
doch noch nie dabei!“
„Ich habe meine Meinung geändert. Ich möchte
mir meine Seide und mein Schmuckstück selbst aussuchen. Außerdem könnten wir
Emilys Mutter einen Besuch abstatten. Wir sind ja jetzt eine Familie.“ Aynur
klang ein wenig unsicher.
André war begeistert. „Das ist eine
wundervolle Idee! Dafür bekommst du noch ein Geschenk!“ Er dachte schon so
lange darüber nach, wie er Emilys Familie und seine Familie zusammenbringen
konnte, aber Aynur hatte die Angelegenheit längst in die eigene Hand genommen.
„Wegen des Geschenkes werde ich dich beim
Wort nehmen!“ Sie verschwand hüftschwingend durch das Scheunentor.
„Baba! Hilfe! Ahhh!“ Der Rest des Schreis
ging in einem verzweifelten Schmerzenslaut unter.
„Bei Allah! Verschwindet, ihr Schurken!“,
hörte André Aynur rufen. Dann wurde sie von vielstimmigem Geschrei und dem
Poltern galoppierender Pferdehufe übertönt. André packte eine Schaufel, die
neben der Stellage an der Wand lehnte, und stürmte los. Auf dem Boden vor dem
Scheunentor lag der Sack mit dem Safran, den Aynur fallen gelassen hatte. Dann
wurde André auch schon von einem heranpreschenden Reiter beseite gestoßen, er
stolperte und fiel, und als er sich aufrappelte, sah er noch, wie der Reiter
sich vom galoppierenden Pferd beugte und den Sack an sich riss.
„Du Schurke!“, brüllte André. Dann bemerkte
er die anderen Reiter,
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