Die Loewin von Mogador
Erst als Moffat versicherte, dass er in Marokko etlichen Europäerinnen
begegnet war, die in den Ausländervierteln der Städte mit ihren Männern lebten,
hatte Richard zähneknirschend eingewilligt.
Sibylla und Benjamin waren die einzigen
Passagiere auf der mit Tee, Baumwollstoffen und Eisenwaren beladenen Queen
Charlotte. Ihre Londoner Dienstboten hatten nämlich bei der Aussicht, von nun
an unter Mauren leben zu müssen, den Dienst quittiert. Außerdem reisten sie mit
sehr wenig Gepäck. Sibyllas bestand hauptsächlich aus Bücherkisten, in denen
sich unter anderem ihre Geschichten aus 1001 Nacht und eine englische
Übersetzung des Korans befanden. Benjamin hatte sich mit französischem Wein,
schottischem Whisky und geräuchertem Schweineschinken eingedeckt, wohl wissend,
dass es diese Köstlichkeiten in einem muslimischen Land nicht gab. Statt Möbeln
– sie würden das bereits eingerichtete Haus von Mr. Fisher beziehen – hatten
sie reichlich Geschenke dabei. Der Sultan, sein Hofstaat, der Kaid von Mogador,
etliche Scheichs und arabische Händler mussten im Interesse guter Geschäfte
bedacht werden.
„Der alte Seebär hatte recht“, brummte
Benjamin neben Sibylla. „Der Nebel verschwindet. Aber ob wir bei dem Wellengang
durch dieses Nadelöhr von Hafeneinfahrt kommen, wird sich noch zeigen. Ich
frage mich, ob der breitere Durchlass im Süden nicht die bessere Wahl wäre.“
„Kapitän Brown wird schon wissen, was er tut.
Er steuert diesen Hafen ja nicht zum ersten Mal an“, erwiderte Sibylla.
Langsam kämpfte die Queen Charlotte sich
gegen die Wellen vorwärts. Je näher sie der Einfahrt kamen, desto schmaler
schien sie. Der mächtige Segler musste sich zwischen der Hafenmole links und
einem kleinen Eiland, der Insel Mogador, rechts von ihnen hindurchquetschen. Tosend
und schäumend brach das Meer sich an den Uferfelsen. Eine Festung tauchte aus
den letzten Nebelfetzen auf. Dann entdeckte Sibylla zu ihrem Entsetzen das
Gerippe einer Fregatte, die hier auf Grund gelaufen war. Sie umklammerte
Benjamins Hand und blickte ängstlich zu Kapitän Brown. Er stand am Bug. Neben
ihm lotete ein Matrose mit dem Senkblei immer wieder die Wassertiefe aus. Auf
seiner anderen Seite erwartete der erste Offizier seine Befehle, der sie
wiederum zum Steuermann am Heck brüllte. Sibylla hatte das Gefühl, es dauerte
eine Ewigkeit, aber schließlich hatten sie die Durchfahrt überstanden, und wie
eine lange schmale Sichel erstreckte sich der Hafen von Mogador vor ihnen. Weil
er ziemlich versandet war, mussten sie in einiger Entfernung der Mole Anker
werfen.
„Wir müssen umsteigen.“ Benjamin zeigte auf
ein Boot, das vom Ufer her auf sie zusteuerte. Im Heck stand ein Araber und
brüllte den jeweils zehn Schwarzen rechts und links an den Rudern unaufhörlich
Kommandos zu. Kurz bevor das Boot längsseits ging, schrie der Maat: „Fallreep
herunterlassen!“
Sibylla spähte entsetzt in die Tiefe. „Das
meint er nicht ernst!“
„Ich fürchte doch“, erwiderte Benjamin.
„Niemals!“ Sie packte seinen Arm. „Ich könnte
das Baby verlieren.“
Er starrte sie an. „Welches Baby?“
Sie biss sich auf die Lippen. So hatte sie
nicht geplant, ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Tatsächlich hatte
schon ihr Arzt in London ihr gesagt, dass sie guter Hoffnung war, und geraten,
die anstrengende Schiffsreise nicht anzutreten. Aber sie hatte ihn zum
Schweigen verpflichtet. Sie wollte unbedingt nach Mogador und sich ihr Vorhaben
weder von Benjamin noch einem Arzt verbieten lassen.
Seit die Queen Charlotte aus dem Londoner
Hafen ausgelaufen war, wollte sie Benjamin berichten, dass er Vater wurde. Aber
aus Angst, dass er sie von einem der Häfen, in dem sie auf der Reise anlegten,
um Proviant und Wasser aufzunehmen, zurückschicken würde, hatte sie bis heute
geschwiegen.
„Wir bekommen ein Kind“, eröffnete sie ihm so
leise, dass er sie durch den Lärm von Wind und Wellen hindurch kaum hörte. „Im
Herbst.“
„Und wann hattest du vor, mich darüber zu
informieren? Wenn es Zeit wird, die Hebamme zu holen?“ Er konnte sich eine
leichte Bitterkeit nicht verkneifen.
Sie errötete. „Du und Vater hättet mich diese
Reise doch nie machen lassen, wenn ihr es gewusst hättet! Ich hätte es dir
gesagt, sobald wir sicher in Mogador angekommen sind.“
Benjamin schüttelte nur den Kopf. Nachdem er
nachgedacht hatte, erklärte er: „Wir machen es wie damals in den Docks, nur
umgekehrt. Ich steige zuerst hinunter. Du
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