Die Loewin von Mogador
beide die Köpfe
zusammengesteckt?“, wisperte Sibylla, während Benjamin sie zu Tisch führte.
„Unser Handelsagent in Mogador ist gestorben.
Dein Vater hat es mir eben berichtet.“
Sie blickte ihn nachdenklich an. „Dann
brauchen wir jemand Neuen, der die Geschäfte dort wahrnimmt.“
Im Marmorkamin im Speisesaal flackerte ein
Feuer und verbreitete angenehme Wärme. Auf dem Dielenboden lag ein großer
Teppich. Kristallspiegel und Leuchter zierten die Wände. Der lange Esstisch
bestand aus Rosenholz, und die Stühle standen auf schlanken Beinen.
In der Mitte des Tisches, rund um einen
prächtigen silbernen Tafelaufsatz, waren die Speisen arrangiert. Es gab Suppe
aus Karotten, Kartoffeln und Petersilie, frischen Steinbutt vom Fischmarkt in
Billingsgate, Koteletts und Wildpastete, gedünstetes Gemüse, französischen Käse
und zum Dessert exotische Früchte. Benjamin bediente Sibylla, und Mr. Moffat
bestand darauf, der Hausherrin zu servieren.
„Gegen dieses ausgezeichnete Essen war meine
Verpflegung in Marokko doch sehr einfach. Tagelang habe ich nur von Datteln,
Fladenbrot und Ziegenkäse gelebt.“
„Ich wünsche mir so sehr, all die Orte, die
Sie bereist haben, ebenfalls mit eigenen Augen zu sehen!“, warf Sibylla ein.
„Wahrhaftig eine romantische Idee. Ich bin
sicher, dass eine so kluge und tatkräftige Lady, wie Sie es zu sein scheinen,
dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen vermag“, erklärte Moffat charmant.
„Sie würden meine Frau wohl gerne bei der
Umsetzung dieses Plans unterstützen, nehme ich an“, mischte Benjamin sich
säuerlich ein.
Sibylla blickte erstaunt auf. Eifersucht war
bisher keine Eigenschaft, die sie an ihrem Ehemann bemerkt hatte.
Moffat verneigte sich geschmeidig.
„Inschallah, wie man im Orient sagt: Gottes Wille geschehe.“
Benjamins Gesicht begann zu glühen. Rasch
mischte Mary sich ein: „Lassen Sie uns doch noch ein wenig an Ihren Erlebnissen
teilhaben, Mr. Moffat.“
Während der Schotte erzählte, beugte Benjamin
sich zu Sibylla und flüsterte ihr ins Ohr: „Was für ein Angeber!“
Moffat war Kartograph und Landvermesser und
von der Geographischen Gesellschaft Londons auf Bitten von Sultan Moulay Abd Er
Rahman nach Marokko entsandt worden, denn der Alawidenherrscher wollte sein
Land modernisieren. Indem er Grenzverläufe, Flusstäler, Gebirge, Oasen und
Wüsten erfasste, hatte er das geheimnisvolle Land im Nordwesten Afrikas ein
wenig zugänglicher für Ausländer gemacht. Richard wollte alles über
Handelswaren und Bodenschätze erfahren, und Sibylla lauschte begeistert der
Beschreibung der alten Karawanenstraßen, die vom Mittelmeer durch die Sahara
bis Timbuktu führten.
Als Moffat berichtete, dass einer der größten
Handelsposten des Landes Sklaven waren, die aus dem Herzen Afrikas stammten,
wurde es still am Tisch. Richards Vater Horatio hatte das Vermögen der Reederei
ebenfalls mit Menschenhandel begründet. Seine Kapitäne hatten vor der Küste
Guineas junge Frauen und Männer, die stark genug für die anstrengende Arbeit
auf den Zuckerrohrplantagen der Karibik waren, für Glasperlen und bunte
Baumwollstoffe von den dortigen Stammeshäuptlingen gekauft. Horatio war ein
angesehener Kaufmann gewesen, aber heute sprach niemand mehr laut darüber, wie
er sein Vermögen erworben hatte, denn der Sklavenhandel war in England seit
fast dreißig Jahren verboten.
„Was geschieht mit den Schwarzen, die in Marokko
Sklaven werden?“, fragte Sibylla schließlich.
„Von den Männern werden viele Soldaten in der
Armee des Herrschers. Einige werden Landarbeiter, die Fähigsten unter ihnen
erringen einflussreiche Positionen im Hofstaat des Sultans. Von den Frauen
werden die Schönsten in Harems verkauft. Die anderen werden Dienstboten.“
Mary riss die Augen auf. Was ein Harem war,
wusste sie aus ihren Romanen. „Haben Sie einen solchen Ort je besucht, Mr.
Moffat?“
Er schüttelte den Kopf. „Das hätte mich
gewiss das Leben gekostet. Kein fremder Mann darf die Frauen eines Mauren
sehen.“
„Um zu wissen, wie es in einem Harem zugeht,
muss man sich also selbst einen zulegen“, kicherte Benjamin, der dem Wein schon
reichlich zugesprochen hatte.
„Wie Sie wissen, ist unser Handelsagent in
Mogador verstorben. Kennen Sie jemanden, dem ich diese Aufgabe anvertrauen
kann?“, schaltete Richard sich ein, als er merkte, dass Benjamin zu einer
weiteren anzüglichen Bemerkung ansetzte.
„Bedaure, aber da fragen Sie besser den
örtlichen Konsul.“
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