Die Loewin von Mogador
weniger als seine Frau? Energisch, mit ausgestreckter Rechter, trat er
vor: „Sehr erfreut, Exzellenz. Mein Name ist Hopkins von der Firma Spencer
& Sohn.“
Benjamin wurde vom Statthalter nicht wie Luft
behandelt. Allerdings missachtete er die ausgestreckte Hand und verbeugte sich
nur leicht. „ Asalamu alaikum,
Mr. Hopkins. Sie haben uns eine steife Brise mitgebracht, wie man auf See zu
sagen pflegt“, begann er auf Arabisch. „Manches Schiff zerschellt an unseren
Wellenbrechern oder wird zu den Kanarischen Inseln getrieben. Aber nicht die
Engländer, die Könige der Meere.“
Bin Kalil übersetzte, und der Kaid nickte zu
jedem Wort lächelnd. Doch Benjamin fühlte sich gekränkt. „Warum begrüßt er uns
nicht, wie es sich gehört?“, fragte er den Konsul.
„Nun“, erwiderte dieser sichtlich verlegen,
weil bin Kalil jedes Wort übersetzte. „Seine Exzellenz würde einen Ungläubigen
niemals berühren.“
Der Kaid lächelte noch etwas breiter und ließ
antworten: „Seine Exzellenz hofft, dass Sie sich in Mogador so wohl fühlen wie
in Ihrer Heimat, und freut sich, Sie bald in seiner Residenz zu empfangen.“
Die beiden Araber verbeugten sich noch einmal
und machten sich auf den Weg zurück in die Stadt. Kapitän Brown ging mit Mr.
Philipps zur Zollstation, und der Rest der Gruppe begab sich langsam zum
Stadttor.
Sibylla hatte inzwischen auch den letzten
Rest Übelkeit überwunden und betrachtete fasziniert das bunte Treiben im Hafen.
Wie in London auch wimmelte es von Matrosen. Sie be- und entluden die Schiffe,
indem sie die Rah des Großmastes als Seilzug nutzten, oder waren mit Putz –
oder Reparaturarbeiten beschäftigt. Überall hörte sie Hämmern und Sägen, lecke
Stellen am Schiffsleib wurden neu abgedichtet und mit Teer versiegelt, in
Stürmen gebrochene Masten ersetzt oder zerrissene Segel geflickt. Im
Hafenbecken tummelten sich kleine Ruderboote, die Kisten und Fässer mit Waren
und Proviant transportierten, die am Kai von den Schreibern des Hafenmeisters
geprüft wurden, bevor sie in einem der Lagerhäuser oder im Bauch eines Schiffes
verschwanden.
Auf der anderen Seite des Stadttores warteten
zwei halbwüchsige Araberjungen, die je einen Esel am Zügel hielten. Mr.
Willshire hatte die beiden Reittiere für die Neuankömmlinge organisiert. Benjamin
verzog das Gesicht und murmelte: „Wie die Narren ziehen wir in Mogador ein.“
Er war so groß, dass er auf dem kleinen Esel
ziemlich komisch aussah, doch Sibylla fühlte sich erschöpft und war dankbar,
dass sie reiten durfte.
Sie hatten die Stadt von Süden betreten und
ritten zuerst über einen Platz hinter dem Stadttor.
„Dieses Tor ist das Bab El Mersa“, erläuterte
Mr. Willshire. „Natürlich gibt es noch mehr Zugänge zur Stadt. Die Karawanen
kommen von Nordosten durch das Bab Doukkala, weil sie dort auf direktem Weg zum
Souk gelangen.“
Sie passierten die Kasbah, die Burg der
Stadt. Sibylla entdeckte Kanonen auf den Befestigungsanlagen, und auf einem der
Türme nistete ein Storchenpaar. Beim Anblick der fleißig fütternden Altvögel
dachte Sibylla an das Baby in ihrem Leib. Auch Benjamin hatte die Störche
bemerkt. Ihre Blicke trafen sich, und sie lächelten sich zu.
An die Kasbah schloss sich die Medina an. In
die engen Gassen drang kaum Sonnenlicht. Im Hochsommer würde diese Schatten
spendende Bauweise die Hitze fernhalten. Zusätzlich bot sie Schutz vor dem
ständigen Wind. Sibylla war überrascht, wie schmucklos die Häuser der Medina
waren. Sie bestanden aus schlichten weiß gekalkten Mauern mit abweisend
verschlossenen blau gestrichenen Türen ohne Fenster. Kaum ein Laut drang durch
die dicken Mauern. Sibylla war ernüchtert. In den Geschichten aus 1001 Nacht
hatte sie von Palmen- und Orangenhainen gelesen, von Feigenbäumen und
Wasserspielen. Hier aber streunten nur Katzen um die Ecken. Kinder spielten in
den Gassen aus festgestampftem Lehm, ein paar magere Bettler kauerten auf dem
Boden und streckten beim Anblick der Europäer die Hände aus: „Gebt Brot im
Namen Allahs!“
„Täusche ich mich, oder wurden die Straßen
hier mit dem Lineal gezogen?“, bemerkte Benjamin.
„Sie haben recht“, antwortete Willshire.
„Mogador wurde vor siebzig Jahren von einem französischen Architekten auf dem
Reißbrett entworfen. Der Unglückliche war Gefangener des Sultans, aber nachdem
sein Entwurf die Gnade des Herrschers gefunden hatte, durfte er zurück in die
Heimat.“
„Und warum hat der Sultan diese
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