Die Loewin von Mogador
so deutlich
gefühlt, als wäre sie nackt, und das erregte ihn, wenn er nur daran dachte.
„Findest du? Sollte ich versuchen, dich zu
verführen?“ Kokett zog sie den Saum ihres Nachthemdes ein Stück empor.
„Hör auf damit!“, entgegnete er rauh. „Du
bringst mich ganz durcheinander.“
Sie lächelte und ließ den Saum los. „Hast du
inzwischen mit deiner Familie über uns gesprochen?“ Ihre großen dunkelblauen
Augen blickten ihn erwartungsvoll an.
„Ja.“
„Und? Was haben sie gesagt?“
Er starrte vor sich auf den Boden und
schwieg.
„Oh“, murmelte sie. „Es lief wohl nicht so
gut.“
„Was erwartest du? Es ist in ganz Marokko
noch nie vorgekommen, dass ein Muslim und eine Christin heiraten wollen!“
„Können wir denn hoffen, die Ersten zu
werden?“ Emily klang verzagt.
Er legte einen Arm um ihre Schultern. „Wenn
die Hoffnung nicht wäre, hätten wir kein Leben mehr.“
Tatsächlich fühlte Sabri sich zutiefst
mutlos, wenn er daran dachte, wie schlecht es gelaufen war, als er mit seiner
Familie über seine Liebe zu Emily und den Wunsch, die arrangierte Verlobung
aufzulösen, sprechen wollte.
„Aus Liebe heiraten! Du unseliger Narr!“,
hatte sein Vater getobt. „Wer hat jemals gehört, dass eine gute Ehe von der
Liebe gedeiht! Die Frau ist das Saatfeld des Mannes, so steht es geschrieben.
Sie muss dir gehorchen, Söhne als Erben gebären und Töchter, die im Alter für
dich sorgen! Diese Ungläubige, diese Tochter der Sünde, hat dir den Verstand
geraubt! Ich verbiete dir, ihren Namen in diesem Haus jemals wieder zu
erwähnen!“
Sabri hatte angedeutet, dass der Koran die
Ehe zwischen einem Mann der Rechtgläubigen und einer Frau aus dem Volk der
Schriftbesitzer, wie die Juden und Christen auch genannt wurden, erlaubte.
Schließlich hatte auch sein Vater eine als Christin geborene Abessinierin
geheiratet – Sabris Mutter.
Doch sein Vater war rot angelaufen. „Du
Unverschämter! Du wagst es, dich gegen mich zu stellen?! Deine Mutter war eine
Sklavin. Es war meine Pflicht, sie zu heiraten, denn es steht geschrieben: Und
verheiratet die noch ledigen Frauen unter euch und die Rechtschaffenen von euren
Sklaven und euren Sklavinnen. Aber jetzt straft Allah mich dafür, dass ich meinen
einzigen Sohn, den Augapfel meines Lebens, bei den Ungläubigen studieren ließ!
Oh Herr, lass mich auf der Stelle tot umfallen, damit ich nicht länger ertragen
muss, wie er die Ehre seiner Familie beschmutzt!“
Der Lärm hatte Sabris Mutter und Großmutter,
seine unverheirateten Tanten und Schwestern und die Hauptfrau seines Vaters
angelockt. Als sie von dem ungeheuerlichen Wunsch des einzigen Sohnes des
Hauses erfuhren, stimmten sie lautstark in das Wehklagen ein. Sabris Mutter
vergoss bittere Tränen der Scham, seine Tanten rieten, ihn zu züchtigen, seine
unverheirateten Schwestern jammerten, dass kein ehrbarer Mann sie mehr heiraten
würde, und die Hauptfrau durchbohrte die Abessinierin mit Blicken und
behauptete, dass sie die Katastrophe hätte kommen sehen.
Es hatte Sabri seine ganze Kraft und innere
Stärke gekostet, sich gegen diesen Ansturm zu behaupten, aber er war hart
geblieben: Er würde Emily heiraten, nicht ein Kind, das er noch nie gesehen
hatte und wenn sie hundertmal die Tochter des Richters und von makelloser
Tugend war.
Als Hadj Abdul gemerkt hatte, dass all sein
Klagen nicht half, war er mit einem Mal ganz ruhig geworden. „Morgen früh werde
ich den Kadi aufsuchen und mit ihm den Ehevertrag festlegen. Und vor Ablauf
eines Monats wird geheiratet. Wenn du es wagst, dich zu widersetzen“, hatte er
mit einem unheilvollen Funkeln in den Augen verkündet, „bist du nicht länger
mein Sohn!“
Sabri merkte jetzt noch, wie es ihm angesichts
dieser Drohung die Kehle zuschnürte. Er liebte seine Familie, er liebte es, mit
ihnen zusammen zu sein, zu essen, zu singen, Geschichten zu erzählen, alle
Freuden und alle Kümmernisse des Lebens mit ihnen zu teilen, und er wünschte
sich, dass Emily in dieser großen, lebendigen und bunten Familie willkommen
war. Er konnte ihr unmöglich erzählen, dass sie sie nicht mit offenen Armen
aufnahmen, sondern sie kaltherzig von sich stießen.
Doch sie hatte längst gemerkt, wie
niedergeschlagen er wirkte. „Das Gespräch war wohl ziemlich schlimm“, hakte sie
leise nach und legte den Kopf auf seine Schulter.
Wolken waren am Nachthimmel aufgezogen und
schoben sich vor den Mond, der hoch über den Häusern stand. Sie fröstelte bei
dem
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