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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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des Windes an und zeigte auf ein paar Handelsschiffe,
die wie Nussschalen auf dem aufgewühlten Meer tanzten und darauf warteten, dass
der Sturm sich legte und sie in den Hafen einlaufen konnten.
    „Als ich nach Mogador kam, herrschte auch
Sturm“, erzählte Sibylla, „und Nebel. Wir mussten zwei Tage warten, bis wir an
Land konnten. Das Schiff, mit dem wir damals segelten, die Queen Charlotte,
liegt zurzeit sogar im Hafen. Wenn sie voll beladen ist, wird sie direkt nach
London zurücksegeln. Du könntest mitfahren – mit Victoria als Begleitung, wenn
du das lieber möchtest.“ Der Gedanke, dass sie ihrer Schwiegertochter damit
eine Freude machen könnte, war Sibylla gekommen, als sie gehört hatte, wie
Victoria sie und Emily verteidigt hatte.
    Emily war jedoch nicht begeistert. „Du willst
mich doch nur von Sabri fernhalten“, entgegnete sie misstrauisch.
    Mutter und Tochter standen inzwischen vor dem
Lagerhaus der Reederei Spencer & Sohn. Sibylla nahm ihren Schlüssel, um
aufzuschließen, doch das schwere Tor war bereits offen. „Seltsam“, murmelte sie
und blickte sich prüfend um. Aber im Halbdunkel der Lagerhalle war es still und
leer, alles schien unverändert.
    „Was hast du denn?“, fragte Emily hinter ihr
neugierig.
    „Ach, nichts. Wahrscheinlich ist Aladdin da
und arbeitet. Für ihn ist der Sonntag ja ein normaler Werktag. Wartest du hier?
Ich bin sofort wieder unten.“
    Als die Schritte ihrer Mutter auf den
hölzernen Stufen verklungen waren, wanderte Emily müßig durch die große Halle
und betrachtete die Vielfalt der Waren, die hier lagerten. Vorn am Tor wartete
stapelweise Leder aus Fès, das als Erstes verschifft werden sollte. Dahinter
standen mehrere Reihen Holzfässer mit Palmöl, und auf der anderen Seite des
Tores befanden sich Kisten, in denen kleinere Bestellungen transportiert
wurden. Emily studierte gerade neugierig die Beschriftungen, als ein
markerschütternder Schrei von Sibylla ertönte: „Einbrecher! Diebe! Der ganze
Safran und das ganze Geld! Diese Schurken!“
    Ohne zu zögern, schnappte Emily sich eine
Eisenstange, die sonst benutzt wurde, um das Tor offen zu halten, und stürmte
die Treppe hinauf. „Mummy! Wo bist du? Brauchst du Hilfe?“
    Sie fand ihre Mutter in ihrem Büro vor dem
großen Eichenschrank. Die Flügeltüren standen sperrangelweit offen. Der eine
der beiden Tonkrüge, in denen Sibylla den Safran bis zum Versand aufbewahrte,
lag zerbrochen auf dem Boden, den anderen hielt sie in der Hand.
    „Der ganze Safran wurde gestohlen!“, keuchte
sie. Sie drehte den Krug kopfüber und eine letzte vertrocknete Blüte schwebte
auf den Boden. „Alles, was sich in den Tonkrügen befand, und die vier Säcke von
André auch! Ich wollte ihm helfen, seine Ernte hier sicher aufzubewahren. Und
jetzt das! Die Geldkassette hat der Dieb ebenfalls mitgenommen – fast tausend
englische Pfund und ebenso viele Peseten und Dukaten! Ich wollte sie Comstock
auf der Queen Charlotte mitgeben.“ Sibyllas Stimme verlor sich. „Aber der
Verlust des Safrans ist viel schlimmer. Natürlich werde ich André-“
    „Mummy“, unterbrach Emily sie und sah sich
unruhig nach allen Seiten um. „Vielleicht verstecken sich die Diebe noch hier
in der Nähe. Wir sollten schnellstens von hier verschwinden!“
     
    Als beide eine halbe Stunde später nach Hause
kamen, wartete Thomas im Salon. Sibyllas überreizte Nerven wähnten sofort neues
Unglück. „Du bist schon zurück? Geht es Monsieur Rouston schlechter?“
    „Wäre ich dann hier, Mutter?“ Thomas klang
erstaunt. „Nein, ich kann dich beruhigen. Monsieur Rouston geht es gut. Er
befindet sich auf dem Wege der Besserung. Aber seine Frau…“ Er machte eine
Pause, denn die Erinnerung an Aynurs grausames Schicksal verfolgte ihn ständig.
„Sie ist gestorben.“
    „Mein Gott!“, murmelte Sibylla betroffen.
„Ihre armen Kinder sind jetzt ganz allein.“
    „Monsieur Rouston auch“, bemerkte Thomas. „Er
trauert sehr um seine Frau.“
    „Natürlich.“ Sibylla fuhr sich mit einer Hand
über die Stirn. Ihr Kopf schmerzte. Sie sehnte sich nach André, danach, dass er
sie in die Arme nahm und tröstete. Aber André trauerte um Aynur, und Sibylla
hatte niemanden, der sie tröstete.
    Thomas hatte sich Emily zugewandt und küsste
sie auf die Wangen. „Guten Tag, kleine Schwester.“ Er hielt sie auf Armeslänge
von sich und musterte sie genau. „Du siehst seltsam aus. Was ist geschehen?“
    Sibylla hatte gesagt, dass sie der Familie
von

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