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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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sah lächelnd von ihrer Stickerei
auf. „In London gab es im Winter manchmal Schnee, und wenn es sehr kalt war,
lag sogar Eis auf der Themse. Aber daran erinnerst du dich nicht mehr, nicht
wahr?“
    Selwyn schüttelte mit großen Augen den Kopf.
In Mogador war es immer warm, auch im Winter.
    „Mutter“, begann Emily erneut, und wieder
zögerte sie.
    Ihre Mutter sah so müde aus, die Sorge war
ihr ins Gesicht geschrieben. Wie enttäuscht würde sie sein, wenn sie erfuhr,
dass ihre eigene Tochter sie hintergangen hatte, dass die Reise nach England
als Vorwand für ihre Flucht mit Sabri diente. Mit dem Mut der Verzweiflung
sprudelte sie los: „Ich habe nachgedacht, Mutter, und ich glaube, du hast
recht. Ich werde nach London reisen und mein Malstudium aufnehmen. Wenn die
Queen Charlotte ausläuft, fahre ich mit.“
    „Das wäre ja schon morgen!“, rief Sibylla
aus. „Wie sollen wir bis dahin alles vorbereiten?“
    „Wir müssen uns eben beeilen“, erwiderte
Emily mit klopfendem Herzen. Wie sehr wünschte sie sich, ihrer Mutter die
Wahrheit sagen zu können!
    Sibylla begann, froh über die Ablenkung, die
Abreise zu planen, lief voller Tatendrang hin und her und überlegte, was sie in
der Kürze der Zeit noch alles organisieren musste. „Nadira, hol Firyal! Sie
wird Emily nach Europa begleiten. Außerdem soll sie dir beim Packen helfen!“
    „Sofort, Herrin! Ich werde auch Reisekisten
aus der Abstellkammer holen und sauber machen.“ Nadira eilte davon.
    Victoria lauschte mit gemischten Gefühlen.
Während Sibylla Papier und Tinte holte, um eine Liste all der Dinge, die Emily
mitnehmen sollte, zu schreiben, formte sich eine Idee in ihrem Kopf, ein
utopischer, unvernünftiger Einfall, doch er übte eine unwiderstehliche
Anziehungskraft auf sie aus.
    „Wer wird Emily begleiten?“, erkundigte
Victoria sich vorsichtig. „Du, Mutter?“
    Sibylla blickte lächelnd von ihrer Liste auf.
„Ehrlich gesagt wollte ich dich bitten, das zu tun. Du würdest mir einen großen
Gefallen tun, Victoria. Ich sehne mich nicht nach England, aber ich weiß, dass
du es tust.“
    Victorias Augen schwammen in Tränen. „Du tust mir einen großen Gefallen, Mutter“, brachte sie leise hervor.
    Doch dann fielen ihr Charlotte und Selwyn
ein, und sie wusste, dass ihr Wunsch ein unerfüllter Traum bleiben würde. „Ich
kann nicht reisen“, sagte sie traurig. „Was wird aus den Kindern?“
    Männerschritte näherten sich auf der
Holztreppe, wenig später erschien John. Er war bei Kaid Samir gewesen, um sich
zu erkundigen, ob der oder die Diebe schon gefunden waren, und hörte Victorias
Worte. „Was ist mit den Kindern?“, erkundigte er sich neugierig und wuschelte
Selwyn durch die Haare. Dann entdeckte er den Teetisch. „Sind das nicht meine
Lieblingskuchen? Die wollt ihr doch nicht allein essen!“
    Sibylla nahm einen Teller, häufte
Kuchenstücke darauf und goss ihm Tee ein: „Hier, mein Sohn. Lass es dir
schmecken!“
    „Versuchst du, mich zu bestechen?“, fragte er
halb scherzhaft, halb misstrauisch. „Heraus mit der Sprache: Was heckt ihr
Frauen aus?“
    Sibylla lachte verlegen. „Emily hat sich
entschlossen, morgen früh nach England abzureisen, und ich habe Victoria
gebeten, sie zu begleiten.“
    „Wie bitte?!“ Johns Hand mit dem Kuchenstück
verharrte auf halbem Weg zu seinem Mund. „Wie stellt ihr euch das vor? Wer wird
sich um die Kinder kümmern? Es ist ausgeschlossen, dass Victoria sie mitnimmt.
Der Winter in England ist nichts für Selwyns Lunge!“
    „Victoria geht doch nicht für immer. Emilys
Malstudium dauert nur ein Jahr. Charlotte und Selwyn sind hier gut versorgt,
und Emily kann nun einmal nicht allein reisen.“
    John schüttelte entschieden den Kopf. „Nein,
damit bin ich nicht einverstanden.“
    „Aber John“, versuchte Sibylla zu beschwichtigen.
    „Ich reise!“
    Alle Köpfe flogen herum. Charlotte und
Selwyn, die zwischen den Stühlen fangen spielten, blieben abrupt stehen.
Victoria war von ihrem Stuhl aufgesprungen. Ihr Stickzeug lag auf dem Boden,
aber sie achtete nicht darauf. „Ich begleite Emily nach England. Morgen früh!“,
verkündete sie. „Deine Mutter hat völlig recht, John. Die Kinder sind hier gut
versorgt. Ich werde sie vermissen, ja.“ Ihre Stimme zitterte, und sie fuhr sich
rasch mit dem Handrücken über die Augen. „Aber ich verlasse sie ja nicht für
immer. Ich komme wieder.“
    „Du weißt nicht, was du redest!“ John war
erschüttert. Noch nie hatte seine Frau sich

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