Die Loewin von Mogador
so entschlossen gegen ihn gestellt.
„Oh doch, John Hopkins, das weiß ich genau!“
Victorias Wangen brannten. „Seit zwei Jahren vergeht kein Tag, an dem ich mich
nicht krank vor Heimweh fühle. Jetzt habe ich die Gelegenheit, England
wiederzusehen, und ich werde reisen, ob du damit einverstanden bist oder
nicht!“
John starrte sie sprachlos an. Sibylla musste
sich auf die Lippen beißen, um ihr Lächeln zu verbergen, aber Emily klatschte
in die Hände und rief: „Bravo, Victoria!“
„Haltet ihr Frauen nur zusammen!“, fuhr John
sie böse an.
Victoria ging zu ihm und legte eine Hand auf
seinen Arm. „Ich glaube, dass mir das Leben in Mogador leichter fallen wird,
wenn ich wenigstens für einige Zeit nach Hause zurückkann“, erklärte sie leise.
„Dein Zuhause ist hier“, knurrte er, und als
sie schwieg, fügte er unsicher hinzu: „Wer weiß, ob du zurückkommst, wenn du
erst wieder in England bist.“
„Natürlich komme ich wieder! Du glaubst doch
nicht wirklich, dass ich dich und die Kinder verlassen will!“
John rang sichtlich mit sich. Dann presste er
hervor: „Also gut, fahr in Gottes Namen!“
Einige Sekunden herrschte angespannte Stille.
Dann fragte Sibylla: „Was hat Kaid Samir eigentlich gesagt? Hat er schon einen
Hinweis auf die Diebe?“
„Er hat an allen Stadttoren und am Hafen
Wachen postiert, doch bis jetzt keine Spur. Ich habe noch zu arbeiten, wenn ihr
mich entschuldigt!“ Wenig später fiel unten die Haustür ins Schloss.
„Vielleicht sollte ich doch nicht…“, begann
Victoria betreten.
„Natürlich sollst du!“, fiel Sibylla ihr ins
Wort. „Mein Sohn wird sich an den Gedanken gewöhnen, dass seine Frau hin und
wieder eigene Entscheidungen trifft.“
Spät in der Nacht klopfte es leise an
Sibyllas Schlafzimmertür. Emilys verzagte Stimme wisperte: „Bist du noch wach,
Mummy?“
„Komm herein!“ Hastig stopfte Sibylla ihr
zerfleddertes Buch mit den Erzählungen aus 1001 Nacht in die Schublade ihrer
Nachtkonsole und setzte sich in den Kissen auf. Gleich darauf schob Emily sich
herein. Sie war barfuß und erinnerte Sibylla trotz ihrer fast einundzwanzig
Jahre in dem weiten Nachtgewand und den langen offenen Locken so sehr an das
kleine Mädchen von früher, dass ihr ganz wehmütig zumute wurde bei dem
Gedanken, sie morgen früh ins ferne England abreisen zu lassen.
Der Tag war hektisch zu Ende gegangen. Firyal
hatte die Ankündigung, Emily und Victoria zu begleiten, in heillose Angst
versetzt. „Tun Sie mir das nicht an, Herrin, ich bitte Sie!“, hatte sie
gefleht. „Die bösen Geister des Meeres werden unser Schiff verschlingen, und
wir werden alle ertrinken!“
Erst nach viel gutem Zureden, einem
energischen Machtwort von Sibylla und dem Versprechen eines guten
Extraverdienstes hatte Firyal sich, wenn auch tränenreich, in ihr Schicksal
gefügt.
Dann hatte sich herausgestellt, dass weder
Emily noch die Dienerin passende Kleidung für den englischen Winter besaßen.
Sibylla und Victoria hatten mit Kleidern und Mänteln ausgeholfen, die Nadira
notdürftig geändert hatte. Dennoch war Emilys Kleid zu kurz und das von Firyal
zu eng. Irgendwie mussten sie sich damit auf See behelfen, bis sie in London
neue Garderobe kaufen konnten.
Schließlich war der Dienstbote, den Sibylla
zur Queen Charlotte geschickt hatte, um zwei Kabinen zu reservieren, mit
schlechten Nachrichten zurückgekehrt. Als Frachtschiff verfügte die Queen
Charlotte nur über sehr wenige Passagierkabinen, und die waren bis auf eine
belegt. Emily, Victoria und Firyal mussten sich während der mehrwöchigen Fahrt
eine Kabine teilen. Sibylla, die wusste, wie beengt es auf einem Schiff zuging,
hoffte, dass die beiden ungleichen Schwägerinnen nicht bis zum Anlegen in
London völlig zerstritten waren. Aber da sie die Abreise keinesfalls in Frage
stellen wollte, behielt sie ihre Bedenken für sich.
„Du bist aufgeregt, nicht wahr?“, fragte sie
ihre Tochter.
Emily nickte stumm.
„Mir geht es genauso.“ Sibylla schlug ihre
Bettdecke zurück und klopfte mit der flachen Hand auf die Matratze. „Komm her,
meine Kleine!“
Das ließ Emily sich nicht zweimal sagen.
Rasch schlüpfte sie neben ihre Mutter. Sibylla stopfte die Decke um sie beide
fest und legte einen Arm um ihre Tochter. Das schwach flackernde Licht der
Öllampe tanzte über die dunklen Wände und Möbel.
Emily schmiegte sich an ihre Mutter. „Fast
wie früher, nicht wahr, Mummy?“
Sibylla lächelte. „Du meinst, so wie
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