Die Loewin von Mogador
Tochter des Kadis
heiraten würde.
Die Luft roch nach Salzwasser und half Emily
gegen das flaue Gefühl im Magen. Doch an das schwankende Auf und Ab des
Schiffes hatte sie sich noch nicht gewöhnt. Ängstlich drückte sie sich an die
Kabinenwand in ihrem Rücken, während ihr Blick suchend über das Deck wanderte.
Matrosen brachten die Queen Charlotte nach dem Sturm wieder auf Hochglanz. Mit
Eimern und Wurzelbürsten ausgerüstet knieten sie auf dem Boden und schrubbten
die hölzernen Planken, andere polierten die Messingbeschläge an der Reling, und
wieder andere betätigten die Pumpen, um das Wasser, das während des Sturms in
die unteren Decks eingedrungen war, aus dem Schiff zu befördern. Dann sah Emily
Sabri, und ihr Herz schlug vor Freude schneller. Er stand einige Meter von ihr
entfernt an der Reling und blickte über das Meer in Richtung Osten, wo irgendwo
hinter dem blauen Dunst die Küste Marokkos lag. Er hatte Emily nicht bemerkt,
und sie nahm die Wehmut in seinem Ausdruck wahr. Sie verstand so gut, was in
ihm vorging. Auch sie war traurig, weil sie ihre Familie und ihr Heimatland
vielleicht für immer hinter sich ließ.
Überwältigt von dem Wunsch, bei ihm zu sein
und seine Arme um sich zu spüren, lief sie los. Aber das Schiff schwankte, und
der Holzboden unter ihr war glitschig von Gischt und Seifenlauge. Sie rutschte
aus und fiel mit einem Aufschrei auf ihr Hinterteil. Sabri fuhr herum, sah sie
und eilte zu ihr. Fast wäre er auf dem glatten Boden ebenfalls gestürzt, aber
er fing sich gerade noch und half Emily auf die Beine. Die Matrosen lachten
dröhnend.
„Endlich!“ Sabri legte einen Arm um Emilys
Schultern und führte sie fort von den Seemännern, die die beiden Landratten
erbarmungslos verspotteten, zum Fockmast am Bug, der mit seinem baumdicken Mast
und den großen Segeln ein wenig Schutz vor Blicken bot.
Sabri zog Emily an seine Brust. „Wie geht es
dir? Du bist ziemlich blass.“
Statt zu antworten, schlang sie beide Arme um
seinen Hals und küsste ihn. „Nun kann nichts und niemand uns mehr trennen!“ In
diesem Moment überwogen die Freude und Erleichterung, bei ihm zu sein, ihr
schlechtes Gewissen, weil sie ihre Familie belogen hatte. Sie musterte ihn
prüfend. „Du siehst gut aus. Hat der Sturm dir gar nichts ausgemacht?“
„Abgesehen davon, dass sich der Schutzschirm
vor meiner Fensterluke in der Nacht löste und ich einen Schwall eiskaltes
Atlantikwasser ins Gesicht bekommen habe, geht es mir gut.“
„Oje, du Armer!“ Sie küsste ihn auf die
Nasenspitze.
Er strahlte sie an. „Dein Anblick macht mich
so glücklich, dass ich laut singen möchte. Allerdings siehst du in dieser
westlichen Kleidung etwas ungewohnt aus.“
„So fühle ich mich auch“, erwiderte sie
lachend und schaute an sich hinunter. Unter Victorias enganliegendem blauem
Wollmantel lugten ein paar lederne Knöpfstiefel hervor, die von ihrer Mutter
stammten. Außerdem trug sie ihr Haar nicht offen, so wie sie es gewohnt war,
sondern hatte es mit ein paar Nadeln zu einem Dutt am Hinterkopf
zusammengewunden. „Diese europäische Kleidung ist ziemlich steif, kratzig und
unbequem.“ Emily zog eine Grimasse.
„Jetzt bist du an der Reihe, bedauert zu
werden!“ Er küsste sie innig.
„Deshalb wolltest du so plötzlich nach
England!“, stellte jemand pikiert hinter ihnen fest.
Erschrocken fuhren Emily und Sabri
auseinander und starrten Victoria an, die keine drei Meter von ihnen entfernt
stand, beide Hände in die Hüften gestützt. „Gehe ich recht in der Annahme, dass
ihr beide, und besonders du, Emily, hier ein Komplott geschmiedet habt?“
„Du übertreibst! Schließlich war dir selbst
jeder Vorwand recht, um nach England zu kommen!“, wehrte Emily sich.
Victoria ignorierte diesen Einwand. „Ich
nehme an, Mutter weiß nicht, dass Mr. bin Abdul auch an Bord gegangen ist?“,
fragte sie eisig, und als Emily betreten schwieg, zog sie vielsagend die
Augenbrauen empor. „Und was habt ihr beide euch gedacht, wie es weitergehen
soll?“
„Ich verstehe Ihren Zorn, Mrs. Hopkins“,
ergriff Sabri das Wort. „Aber es ist nicht Emilys Schuld. Ich habe sie
überredet, mit mir zu fliehen. Meine Familie ist nämlich strikt gegen unsere
Verbindung.“ Dass er für sie log, rührte Emily, immerhin war die Flucht ihre
Idee gewesen.
„Sabris Familie will ihn verstoßen, wenn er
nicht die Braut heiratet, die sie für ihn ausgewählt haben“, ergänzte sie. „Wir
hatten gar keine andere Wahl, als zu
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