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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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im Traum. Er drehte sich um und schlug die Kapuze
seines Umhangs zurück, aber bevor sie ihn erkennen konnte, löste er sich in
nichts auf, und sie erwachte schweißgebadet. Danach konnte sie nicht mehr
schlafen, sondern wanderte ruhelos durchs Haus, schaute in jedes Zimmer und
prüfte, ob alle Türen verriegelt waren.
    „Sie sind fertig, Herrin.“ Nadira strich noch
ein paar Fältchen im Stoff von Sibyllas Tunika glatt, da klopfte es an der
Schlafzimmertür. Sibylla klappte den Katalog zu und stand auf. „Das wird John
sein. Wir wollten zusammen frühstücken und dann zum Hafen.“
    Doch es war die Stimme des Torwächters, der
rief: „Herrin, ein Bote hat einen Brief für Sie gebracht!“
    Sibyllas Herz schlug schneller. Vielleicht
hatte André endlich geschrieben! Sie wartete sehnsüchtig auf Nachrichten von Qasr
el Bahia. Aber seit Aynurs Tod schien André sich völlig zurückgezogen zu haben.
    „Ich werde öffnen, Herrin.“ Nadira ging zur
Tür und nahm den Brief von Hamid entgegen, der respektvoll im Türrahmen
wartete.
    „Er ist von Emily! Sie hat ihn in Lissabon
aufgegeben“, rief Sibylla verwundert, als sie den Umschlag in Händen hielt. Sie
öffnete ihn, entfaltete den eng beschriebenen Bogen und überflog ihn voll
freudiger Erwartung. Doch während sie las, wurden ihre Augen immer größer.
    „Herrin! Haben Sie schlechte Nachrichten?“,
fragte Nadira besorgt.
    Sibylla starrte sie an, als würde sie sie gar
nicht richtig wahrnehmen. „Gute Nachrichten sind es jedenfalls nicht“, murmelte
sie benommen.
    „Wie meinen Sie das, Herrin?“
    Sibylla schluckte. Es fiel ihr schwer, Worte
für diese ungeheuerlichen Neuigkeiten zu finden. „Emily und Doktor bin Abdul
haben geheiratet. Der Kapitän der Queen Charlotte hat sie getraut – drei Tage,
nachdem sie aus Mogador ausgelaufen sind.“
    „Gepriesen sei Allah!“, freute Nadira sich,
aber als sie die Miene ihrer Herrin sah, verstummte sie. Sibylla sah nicht
glücklich aus – im Gegenteil: Sie wirkte erschüttert.
    „Sie freuen sich nicht, Herrin“, stelle
Nadira fest.
    Sibylla hob die Schultern. „Ist es ein Grund
zur Freude, wenn meine Tochter mit Doktor bin Abdul heimlich Pläne schmiedet,
als hätte sie kein Vertrauen mehr zu mir? Ist es ein Grund zur Freude, wenn sie
heimlich heiratet und mich vor vollendete Tatsachen stellt? Und Kapitän
Comstock hilft ihr auch noch dabei! Wenn er wieder in Mogador einläuft, werde
ich ein ernstes Wort mit ihm reden!“
    Sie blickte erneut auf den Briefbogen. Die
Buchstaben tanzten vor ihren Augen, und das nicht nur, weil die Tinte von
Emilys Tränen verschmiert war, sondern auch, weil dort, direkt vor ihr, noch
mehr Ungeheuerliches stand. Sie hörte, wie Nadira mit dem Teegeschirr
klapperte. Gleich darauf stellte die Dienerin eine dampfende Tasse vor sie,
aber Sibylla rührte sie nicht an.
    Emily hatte ihr nicht nur offenbart, dass sie
und Sabri heimlich geheiratet hatten, sondern auch, dass sie nicht wagten, nach
Mogador zurückzukehren, weil Sabris Familie ihre Verbindung strikt ablehnte.
    Der Abend vor Emilys Abreise fiel ihr ein.
Sie hatte gemerkt, dass ihre Tochter etwas bedrückt hatte. Jetzt bereute sie
bitter, nicht beharrlicher nachgefragt zu haben. Vielleicht hätte sie Emilys
überstürzte Flucht so verhindern können.
    Noch einmal überflog sie die Worte ihrer
Tochter: „Sabri und ich haben die Queen Charlotte in Lissabon verlassen. Wir
ertragen den Gedanken einfach nicht, für immer von euch getrennt zu sein. Wir
hoffen so sehr, dass wir zusammen glücklich werden dürfen, Mummy, und dafür
bitte ich dich, uns zu helfen, auch wenn ich weiß, dass ich dich schrecklich
enttäuscht habe. Aber wenn du zu Sabris Familie gehst und für uns ein gutes
Wort einlegst, können wir wieder nach Hause kommen. Wenn es jemand schafft, sie
zu überzeugen, dann du, Mummy. Bitte, hilf uns! Sabri und ich lieben uns doch
nur, wir haben doch kein Verbrechen begangen!
    Liebste Mummy, ich werde mit Sabri in
Lissabon warten und beten, dass du uns bald gute Nachrichten sendest!
    P.S. Victoria ist auch bei uns. Sie will
ebenfalls wieder nach Hause, weil sie solches Heimweh nach Charlotte und Selwyn
hat, aber sie hat gesagt, dass sie bei uns bleibt, bis wir Antwort haben.“
    Sibylla schluchzte trocken, faltete den Brief
zusammen und schob ihn von sich. Emilys Worte taten ihr zu weh.
    „Herrin!“, rief Nadira alarmiert aus. „Was
beunruhigt Sie noch?“
    „Emily schreibt, dass sie vielleicht nie
wieder nach Hause

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