Die Loewin von Mogador
damals,
wenn Firyal dir wieder Märchen von den Dschinni erzählt hatte, die nachts ums
Haus spuken, und du dann vor lauter Angst bei mir schlafen wolltest?“
„Das hat sie gemacht, um mich zu bestrafen,
wenn ich heimlich genascht hatte. Aber jetzt fürchtet sie selbst, dass Satans
Sohn Zalamur sie vom Schiff direkt in die Hölle schleppt“, kicherte Emily.
„Und du?“, wollte Sibylla wissen und strich
ihrer Tochter über das Haar. „Hast du auch Angst vor der Reise nach England?“
Emily schwieg. Sie hatte Tränen in den Augen.
Sibylla staunte. Sie hatte gedacht, Emilys Neugier und Abenteuerlust wären
stärker als die Furcht vor der Fremde.
„Du wirst eine schöne Zeit in England
verleben, meine Kleine“, versuchte sie, Emily zu trösten. „Ich gebe dir noch
einen Brief für deinen Onkel Oscar mit, in dem ich ihm die Gründe für euren
überraschenden Besuch erkläre, aber ich bin sicher, die Familie wird außer sich
vor Freude sein, dich kennenzulernen. Deinen Vater werde ich ebenfalls über
deine Abreise informieren.“
Emily begann, zu weinen. „Ach, Mummy. Ich
werde dich und Vater so vermissen!“
„Ich bin auch traurig, dass ich dich ein Jahr
nicht sehen werde. Aber ich weiß, dass du eine Menge wunderbare Erlebnisse
haben wirst. Es gibt keinen Grund, zu weinen.“ Sibylla öffnete die
Nachttischschublade, zog ein Taschentuch heraus und wollte Emily wie früher die
Nase abputzen.
„Lass das, Mummy! Ich bin doch kein Kind
mehr!“ Emily gelang ein schiefes Lächeln. Sie nahm ihrer Mutter das Taschentuch
weg und schnäuzte sich geräuschvoll. „Ich habe eine Bitte, Mummy. Versprichst
du mir, dass du mir nicht böse bist, egal, was geschieht?“ Sie wirkte
angespannt.
„Was sollte denn geschehen? Was brennt dir
auf der Seele?“
Emily wich ihrem Blick aus. „Es ist nichts.
Ich frage nur so. Es kann doch eine Menge passieren in einem Jahr.“
Sibylla schloss Emily in die Arme. „Mach dir
keine Sorgen! Du und deine Brüder, ihr seid mir das Wichtigste auf der Welt,
und das kann nichts und niemand ändern.“
Auf der Queen Charlotte im Dezember 1861
Sabri trat aus der Tür der Messe, wo er ein
Frühstück aus hartem trockenem Zwieback, Tee und Corned Beef zu sich genommen
hatte, auf das Deck der Queen Charlotte und blickte in den azurblauen Himmel.
Der Wind wehte immer noch stark und trieb bauschige weiße Wolken vor sich her.
Der Atlantik rauschte, hob das Schiff auf die Wellenkämme und sank mit ihm
wieder ins nächste Wassertal. Sabri drückte seinen Turban mit einer Hand fest
in die Stirn, damit er nicht fortgeblasen wurde. Mit der anderen umklammerte er
die Reling und blickte sich suchend um.
Es war der dritte Tag auf See, und er hatte
Emily noch nicht zu Gesicht bekommen. Aber der Stewart, der sich um die
wohlhabenden Passagiere kümmerte, die auf dem Oberdeck im Heck wohnten, hatte
ihm versichert, dass Miss Rouston und Mrs. Hopkins an Bord gegangen waren.
„Wie den meisten Passagieren bei diesem
Seegang ist auch den Ladys nicht wohl“, hatte er ihn bedauernd wissen lassen
und geprüft, ob er die Tür zur Kabine der beiden Frauen auch wieder fest
verschlossen hatte. Dann war er mit seinem Blecheimer, aus dem es verdächtig
nach Erbrochenem gerochen hatte über das auf und ab schaukelnde Schiff davon
gewankt.
Die Queen Charlotte war gerade erst ein paar
Stunden ausgelaufen, da hatten sich die Passatwinde zu einem neuen Sturm
gesteigert, der das Schiff zwei Tage auf haushohen Wellen hin und her geworfen
hatte. Die Matrosen hatten es gerade noch geschafft, alles, was verrutschen
oder abstürzen konnte, festzuzurren. Aber die Kuh, die die Versorgung der
dreißig Passagiere mit frischer Milch gewährleisten sollte, hatte in ihrem
Verschlag vor Angst gebockt und sich ein Bein gebrochen, und Sabri hatte dem
Schiffsarzt in heftigem Sturm bei der Notschlachtung des Tieres assistiert.
Er hatte zu den wenigen Passagieren gehört,
die nicht an Seekrankheit litten. Tagsüber hatte er in seiner Kabine gesessen,
dem Ächzen und Knarren des hölzernen Schiffsleibes gelauscht, dem Tosen des
Windes, dem Schlagen der Wellen und dem Schrillen der Bootsmannspfeifen. Nachts
hatte er wachgelegen und versucht, den Schmerz über den Bruch mit seiner
Familie zu vergessen. Wenn er doch eingenickt war, hatte ihn wenig später der
Glasenschlag der Schiffsglocke, mit dem die Wachwechsel verkündet wurden,
wieder aus seinem unruhigen Schlaf gerissen.
Die Mahlzeiten boten eine
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