Die Loewin von Mogador
angetroffen hast, bekommst du noch eine
Belohnung.“
Zur Mittagszeit wartete Rouston bereits zwei
Stunden in der alten portugiesischen Kirche auf Sibylla. Nachdem der
Araberjunge zurückgekommen war und stolz berichtet hatte, dass er alles genauso
gemacht hatte, wie der Faransawi ihm aufgetragen hatte, war André vom
französischen Konsulat – wo er immer wohnte, wenn er sich in Mogador aufhielt –
zu der kleinen Kirche geeilt. Er wusste, dass er viel zu früh war, aber
vielleicht kam auch Sibylla zu früh, und wenn sie ihn nicht antraf, ging sie
womöglich gleich wieder!
Er hatte auf der rechteckigen Erhöhung direkt
unter dem Glockenturm einen kleinen Teppich ausgerollt, auf dem zwei Menschen
nur dicht nebeneinander Platz fanden. Dort saß er und blickte in das helle
Mittagslicht, das in schmalen goldenen Streifen durch die Löcher im Dach fiel.
Im Grunde ist es lächerlich, dachte er
kopfschüttelnd. Ich bin dreiunddreißig Jahre alt. Ich habe mehr von der Welt
gesehen als manch anderer Mann, und ich habe genug Frauen gekannt. Trotzdem
fühle ich mich genauso aufgeregt wie damals, als ich ein vierzehnjähriger
Bengel war und die Tochter des Gastwirts mir erlaubte, hinter unserer Scheune
in ihr Mieder zu greifen.
Er ließ den Blick durch den kleinen
Kirchenraum schweifen. Der letzte Priester hatte diesen Ort verlassen, als die
Portugiesen um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ihren Handelsposten an
der Stelle des heutigen Mogador hatten aufgeben müssen. Seither verfiel die
Kirche. Hinter der Eingangstür wartete kein Weihwasserbecken mehr, in dem
Gläubige ihre Finger benetzten, auf den gesprungenen Steinplatten standen keine
Bänke, in denen Betende knieten, die Glasfenster waren geborsten, Spinnweben
hingen von den Wänden, und in Mauernischen nisteten Tauben. Die Orgelpfeifen
hatten die Piraten, die nach den Portugiesen an dieser Küste Unterschlupf
gefunden hatten, eingeschmolzen, ebenso die Glocken, so dass hoch im Turm nur
noch Fledermäuse hausten. Es war friedlich hier. Sonnenstrahlen fielen durch
das zerstörte Dach auf André und wärmten ihn. Er hörte den Wind in den zugigen
Ecken, das Gurren der Tauben und das Trippeln winziger Mäusepfoten, die über
die verwitterten Bodenplatten huschten. Wären da nicht die kopflose Statue des
heiligen Antonius, des Schutzpatrons Portugals, und die Figur der
Nationalheiligen Isabel im Ornat der Franziskanerinnen gewesen, die rechts und
links des ehemaligen Altarbereichs auf steinernen Sockeln wachten, hätte
niemand mehr geahnt, dass es sich hier einst um eine Kirche gehandelt hatte.
Warum Sibylla wohl nicht gekommen war, in
jener Nacht vor vier Wochen? Irgendetwas oder irgendjemand musste sie
aufgehalten haben. Ihr Ehemann vielleicht, der ausgerechnet in dieser Nacht ihr
Bett teilen wollte? Die Vorstellung, dass Benjamin Sibylla in den Armen hielt
und liebte, war für André kaum zu ertragen. Möglicherweise hatte sie ihn auch
gar nicht treffen wollen – eine Überlegung, die ihm genauso wenig gefiel. Oder
hatte sie den Mut verloren? Aber eine Frau wie Sibylla verlor nicht den Mut,
sondern tat, was sie für richtig hielt.
In jener Nacht, als er vergeblich gewartet
hatte, hatte er beschlossen, Mogador zu verlassen, zu den Chiadma
zurückzureiten und erst im Herbst wiederzukommen, wenn es Zeit wurde, die
Dattelernte zu verkaufen. Bis dahin hatten sich seine Gefühle für eine
verheiratete Frau, die nie wirklich seine Frau sein würde, hoffentlich
abgekühlt!
Aber Tag um Tag verging, er war geblieben,
und jetzt saß er hier in der Ruine dieser alten Kirche und schickte ein
Stoßgebet zum Himmel, dass Sibylla ihn nicht auch dieses Mal versetzte. Neben
ihm stand ein Korb mit Rotwein, dunkel und zähflüssig wie Sirup, Trüffelpastete
und Schinken, der nach den Eichenwäldern seiner Heimat schmeckte –
Delikatessen, die er dem Koch des französischen Konsuls abgekauft hatte, um
damit die Frau zu verwöhnen, die ihn mehr fesselte als jede andere.
Doch wo blieb Sibylla? Er blickte zu dem
größten Loch in der Decke des Kirchenschiffes, um den Sonnenstand abzuschätzen.
Seit der Muezzin zum Mittagsgebet gerufen hatte, war mindestens eine halbe
Stunde vergangen. Eine halbe Stunde werde ich noch warten, beschloss er in
verzweifeltem Aufbegehren. Wenn sie bis dahin nicht kam, war es genug. Dann
würde er gehen und sich ihr nie wieder aufdrängen!
Er stutzte. An der Außenseite der Eingangstür
hörte er ein Klacken, als zöge jemand am Riegel, die rostigen
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