Die Loewin von Mogador
leisten, wird die Garde einschreiten. Aber
glauben Sie mir: Es ist besser, einem Befehl des Sultans zu folgen.“
Sibylla hatte sich von André verabschiedet,
als sie ihre Gasse erreichte. Tief in Gedanken versunken ging sie zu ihrem Haus
und bemerkte die beiden Gardisten vor dem Tor erst, als sie fast mit ihnen
zusammenstieß.
„Was tun Sie hier?“, fragte sie erschrocken,
als die beiden vortraten. „Lassen Sie mich sofort ein!“
Mit unsicherer Miene traten die beiden
Soldaten beiseite.
„Was ist hier los?“, wandte sie sich an ihren
Torwächter Hamid. Er zuckte nur hilflos mit den Schultern und erwiderte: „Die
Schwarze Garde wollte zum Herrn. Ich musste sie einlassen.“
„Wie bitte? Was wollen die hier?“ Rasch
verschwand Sibylla im Haus. Der Flur war dunkel und leer. Ein unbestimmbares
Gefühl von Angst und Sorge überkam sie, und sie eilte auf den Innenhof. Als
Erstes entdeckte sie Nadira und ihre Söhne. Die Dienerin stand vor dem
Wasserbecken und hatte je einen Arm um die Kinder gelegt. Alle drei drängten
sich eng aneinander und blickten angespannt zum Umgang.
„Nadira! Was ist geschehen? Warum sind
Soldaten im Haus?“, rief Sibylla.
„Mummy!“ Tom und Johnny rannten auf sie zu.
„Die Soldaten holen Papa!“
Sibylla starrte die Dienerin an, aber diese
schüttelte nur hilflos den Kopf. „Ich schwöre beim Allmächtigen, Herrin, dass
ich nichts weiß!“
Auf dem Umgang klappte eine Tür, Schritte
ertönten. Sibylla fuhr herum und sah, wie Benjamin hinter einem Gardisten aus
seinem Schlafzimmer kam. Nach ihm tauchten der Übersetzer des Kaids und ein
weiterer Araber auf. Tom klammerte sich an die Hand seiner Mutter, und Johnny
begann, zu weinen.
Die kleine Gruppe stieg die Treppe hinunter.
Benjamins Haar war nass, sein Hemd hing aus dem Hosenbund, und die Jacke war
nicht zugeknöpft. Er wich Sibyllas Blick aus, obwohl sie ihn so unverwandt
anstarrte, als könnte sie ihn hypnotisieren.
Sie ließ die Kinder los und trat dem
Gardisten beherzt in den Weg.
„Lassen Sie meinen Mann in Ruhe, und
verschwinden Sie aus unserem Haus!“
Doch der Soldat drängte sie wortlos zur
Seite.
„Benjamin!“, rief Sibylla fassungslos. „Was
wollen sie von dir? Du bist englischer Staatsbürger. Sie dürfen dich nicht
einfach mitnehmen!“
Er blieb stehen und sah sie zum ersten Mal
direkt an. In seinen Augen flackerte Angst. „Informiere sofort Konsul Willshire!
Hier handelt es sich um ein großes Missverständnis.“
Der Gardist packte seinen Arm und zerrte ihn
vorwärts. Wie betäubt blickte sie ihm hinterher, wie er im Dunkel des
Hausflures verschwand.
„Wenn die Anschuldigungen des Kaids auch nur
ein Fünkchen Wahrheit enthalten, dann geht es um den Kopf Ihres Mannes, Mrs.
Hopkins!“ Konsul Willshire sank erschöpft auf den Diwan in Sibyllas Salon.
Es war weit nach Mitternacht. Viele Stunden
waren vergangen, seit die Schwarze Garde Benjamin abgeführt hatte, seit Sibylla
völlig aufgewühlt ins Nachbarhaus gelaufen und dem Konsul von der Festnahme
berichtet hatte. Willshire hatte nicht eine Sekunde gezögert und sich auf den
Weg zum Statthalterpalast gemacht, um gegen die Verhaftung zu protestieren.
Seine Frau hatte sich um Sibylla gekümmert und mit ihr auf Willshires Rückkehr
gewartet.
„Sie werden sehen, alles wird sich aufklären.
Morgen erscheint Ihnen beiden das Ganze nur noch wie ein böser Traum“, hatte
sie Sibylla zu trösten versucht, während diese unruhig im Salon auf und ab
gelaufen war. Doch als Sara die Nachrichten ihres Mannes hörte, stieß sie einen
Schreckensruf aus: „Diese Barbaren! Was fällt ihnen ein, so gegen einen
unbescholtenen britischen Bürger vorzugehen!“
Sibylla blickte in das ernste Gesicht des
Konsuls und sagte mit erzwungener Ruhe: „Bitte nehmen Sie erst einmal Platz,
Herr Konsul. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Das wird Ihnen jetzt
sicher guttun.“ Sie nahm die Kanne und eine weitere Tasse von dem Tablett, das
Nadira gebracht hatte, und stellte das dampfende Getränk vor den Konsul. Dann
setzte sie sich ihm gegenüber, wartete, bis er die ersten Schlucke getrunken
hatte, und fragte ernst: „Was wirft man meinem Mann vor?“
Willshire atmete tief durch und stellte die
Tasse auf den Tisch. „Ich will nicht um den heißen Brei reden, Mrs. Hopkins.
Ihr Gatte wird des Sklavenhandels beschuldigt. Seit nunmehr drei Jahren soll
eines der Schiffe der Spencer-Reederei Schwarze an Bord nehmen und auf den
Sklavenmärkten in Übersee
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