Die Loewin von Mogador
Gruppe hatte das Boot erreicht. Die
Soldaten stießen ihn grob hinein und sprangen hinterher. Der Kapitän brüllte
den Befehl zum Ablegen. Die Ruder tauchten ins Wasser, und mit schnellen
Schlägen entfernte das Boot sich. Sibylla blieb am Kai stehen und blickte ihm
nach, bis es im Morgendunst verschwand.
Kapitel
vierzehn
„Der Herr ist nicht da“, beschied der
Torwächter Sibylla, als sie vor dem Haus der Toledanos stand, genau wie das Mal
davor und das Mal davor. Und auch heute glaubte sie, seinen dunklen Schatten
hinter den Fenstern des ersten Stockwerks gesehen zu haben.
„Bitte lass mich ein! Ich muss ihn
sprechen!“, drängte sie und wollte dem Mann ein Säckchen mit Münzen zustecken.
Doch er verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust und beachtete Sibylla
nicht mehr.
Niedergeschlagen ging sie nach Hause. Am liebsten
hätte sie sich in ihrem Schlafzimmer eingeschlossen und ihren ganzen Kummer aus
sich heraus geweint. Doch da waren die besorgten und ängstlichen Blicke der
Dienstboten. Und ihre verstörten Kinder wichen ihr nicht von der Seite.
„Wo ist Papa?“, fragte Johnny, und Tom wollte
wissen, ob die Soldaten Papa wehtun würden. Sibylla wollte ihren Söhnen auf
keinen Fall sagen, dass ihr Vater verhaftet worden war, und flüchtete sich in
eine Notlüge: „Papa musste verreisen, und die Soldaten begleiten ihn. Ihr wisst
doch, dass er oft verreist. Aber er kommt wieder nach Hause.“
„Und dann bringt er uns etwas mit“, ergänzte
Johnny zufrieden. Tom aber ließ sich nicht so leicht beruhigen und schaute
seine Mutter aus großen zweifelnden Augen an.
Nadira klopfte an die Tür des Salons, in dem
Sibylla zwischen den Jungen auf dem Diwan saß. Sie trug ein Tablett auf dem
eine Schale dampfender Couscous stand.
„Nimm das wieder mit. Ich habe keinen
Hunger“, sagte Sibylla und massierte ihre schmerzenden Schläfen. Dabei hatte
sie den ganzen Tag noch nichts zu sich genommen.
Nadira stellte das Tablett auf den Tisch.
„Sie müssen essen, Herrin!“, ermahnte sie unbeirrt. „Und dann müssen Sie
ausruhen. Kommt Kinder, in der Küche warten ein paar frisch gebackene
Gazellenhörnchen auf euch!“
Nur Nadira zuliebe probierte Sybilla einen
Löffel Couscous. Er schmeckte ihr überraschend gut, und sie aß die ganze
Portion auf. Danach streckte sie sich müde auf dem Diwan aus. Sie musste sogar
eingeschlafen sein, denn als es an ihrer Tür klopfte, schreckte sie aus wirren
Träumen auf. Das Tablett mit der leeren Schüssel war verschwunden, und jemand –
wahrscheinlich Nadira – hatte eine Decke über sie gebreitet.
„Was ist denn?“ Rasch setzte sie sich auf und
strich mit den Händen ihr Haar glatt.
Die Tür wurde zögernd geöffnet, und Firyal
erschien. „Monsieur Rouston steht unten vor dem Tor und wünscht, mit Ihnen zu
sprechen, Herrin.“
André! Sibyllas Herz schlug heftig. Also
hatten sich die Ereignisse schon bis zu ihm herumgesprochen. Wie gern hätte sie
sich in seine Arme geflüchtet und die süße Sorglosigkeit von vor einigen Tagen
noch einmal erlebt! Aber sie drängte die Erinnerung mit aller Macht zurück.
„Bitte Monsieur Rouston herein!“, gab sie zurück.
Doch die junge Frau rührte sich nicht.
„Worauf wartest du noch?“, fragte Sibylla
ungeduldig.
Die Dienerin kam zögernd näher. Als sie vor
Sibylla stand, fiel sie auf die Knie. „Bitte Herrin!“, stammelte sie. „Wie geht
es dem Herrn?“
„Du wagst es…!“, fuhr Sibylla auf. Aber dann
bemerkte sie Firyals ängstlich-besorgten Gesichtsausdruck und schämte sich
ihrer Unbeherrschtheit. „Der Herr wird anständig behandelt“, antwortete sie
ruhiger. „Und jetzt hol Monsieur Rouston!“
André trat ein. Er wirkte sehr ernst. Der
französische Konsul, der es von Willshire wusste, hatte ihm den Vorfall
berichtet.
„Ich kann mir vorstellen, wie schwierig alles
für dich sein muss“, erklärte er.
Sie blickte in sein aufrichtiges,
mitfühlendes Gesicht und hatte eine verrückte Idee: „Reite zu Abd Er Rahman!
Der Sultan gibt viel auf dich. Sag ihm, dass ich eine Audienz bei ihm will, um
diese Angelegenheit aufzuklären!“
„Willst du das wirklich?“, stieß er hervor.
Dass sie ihn bat, seine Beziehungen zum Sultan ausgerechnet für Benjamin zu
nutzen, hatte er nicht erwartet, und es gefiel ihm auch nicht. „Wenn nur ein
Hauch Wahrheit in den Vorwürfen steckt, kann ich deinem Mann auch nicht
helfen.“
Doch sie ließ sich nicht beirren. „Ich weiß,
was ich von dir
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