Die Loewin von Mogador
verlange. Aber ich muss dich um diesen Gefallen bitten!
Benjamin ist der Vater meiner Kinder, und noch ist seine Schuld nicht
bewiesen.“
André runzelte die Stirn. Wie viele andere
auch traute er Benjamin durchaus zu, mit Sklaven zu handeln. Aber es stimmte:
Noch war seine Schuld nicht bewiesen. „In Ordnung. Ich werde nach Marrakesch
reiten. Aber das tue ich nicht für ihn. Ich tue es für dich, weil ich nicht
will, dass du unter seinen Fehlern leidest!“
„Ich danke dir“, erwiderte sie ruhig.
Sibyllas Tapferkeit rührte ihn tief. Er
machte einen raschen Schritt auf sie zu, zog sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich.
Aber ihre Lippen blieben leblos und kalt.
„André, nicht!“, bat sie und befreite sich.
„Ich muss mich jetzt um meine Familie kümmern – nur um meine Familie.“
Er atmete tief durch. „Ich respektiere diesen
Wunsch. Und damit du merkst, dass es mir ernst ist, werde ich noch heute nach
Marrakesch aufbrechen. Ich werde einige Zeit fort sein. Wenn du mich brauchst,
schick einen Boten. Dann komme ich sofort zurück.“
Als sie nicht antwortete, hob er ihr Kinn mit
einer Hand, und blickte ihr in die Augen. „Versprich es mir!“
„Ja“, flüsterte sie.
„Ich verlasse mich darauf!“
Wie sollte es jetzt weitergehen? Was war
richtig und was falsch? Hatte Benjamin mit Menschen gehandelt, oder war alles
eine Intrige? Die Gedanken kreisten unaufhörlich in Sibyllas Kopf.
Mehrere Tage waren seit Andrés Abreise, eine
Woche seit Benjamins Überführung auf die Insel Mogador vergangen. Sibylla hatte
versucht, beim Kaid eine Besuchserlaubnis zu bekommen, aber der Statthalter war
nicht für sie zu sprechen.
Im Hof lachten und kreischten Tom und Johnny
und spielten mit den Holzpferdchen, die Benjamin ihnen mitgebracht hatte. Sie
schienen Sibyllas Erklärung, dass ihr Vater verreist war, akzeptiert zu haben.
Nun saß sie am Schreibtisch in ihrem Kontor.
Sie wollte eine Liste mit allen Fragen aufstellen, die sie an Benjamin hatte,
aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Ihre Gedanken wanderten zu André.
Inzwischen musste er in Marrakesch angekommen sein. Ob er schon beim Sultan
vorgesprochen hatte? Ob sein Bittgesuch etwas bewirkt hatte?
Toms Stimme, aufgeregt und schrill, schreckte
sie auf: „Mummy! Die Soldaten sind wieder da!“
Sibylla stürzte auf den Umgang. Nur wenige
Meter von ihr entfernt auf dem Treppenabsatz stand der Hauptmann der Schwarzen
Garde, begleitet von zwei Gardisten.
„Mrs. Hopkins, wir haben Befehl, das Haus zu
durchsuchen. Seine Exzellenz glaubt, dass Ihr Gatte das Geld, das er mit dem
Sklavenhandel eingenommen hat, hier versteckt.“
Sibylla musterte den hünenhaften schwarzen
Mann kühl. „Erst zeigen Sie mir den schriftlichen Befehl Seiner Exzellenz!“
Er streckte ihr wortlos den
Durchsuchungsbeschluss mit dem Siegel des Statthalters entgegen. Flüchtig
überlegte sie, Konsul Willshire um Hilfe zu bitten, aber seit der Nacht von
Benjamins Verhaftung hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Auch Sara hatte sich
nicht erkundigt, wie es ihr ging. Es war, als würden die beiden sich vor ihr
verstecken, und Sibylla bezweifelte, dass sie ihr jetzt beistehen würden. Sie
atmete tief durch und gab dem Hauptmann das Papier zurück.
„Tun Sie, was Sie tun müssen!“
Erst nach dem Maghrib, dem Gebet nach
Sonnenuntergang, verließen die drei Männer das Haus. Überall, besonders in
Benjamins Kontor, herrschte wüstes Durcheinander. Die Gardisten hatten Kissen
und Sofas aufgeschlitzt, Schubladen geleert und Möbel verschoben. Sie hatten
Aktenregale umgeworfen, Bücher zerrissen und Dielen aus dem Boden gehebelt. Im
Hof hatten sie unter dem Olivenbaum und rund um das Karpfenbecken Löcher
gegraben und die Seerosen aus dem Wasser gerissen. Aber ein geheimes Versteck
mit Geldschätzen hatten sie nicht gefunden. Dafür hatten sie in einem Schrank
Benjamins Kasse entdeckt. Die Reederei Spencer schickte regelmäßig
Wechselbriefe, die er bei einem Geldwechsler und Bankier im jüdischen Viertel
gegen Bargeld tauschte. Damit bezahlte er Lieferanten sowie die Beamten der
Zoll- und Steuerbehörde des Sultans. Auch sein Gehalt erhielt Benjamin als
Wechsel. Einen Teil davon gab er Sibylla, die damit die Dienstboten entlohnte
und sämtliche Haushaltsausgaben bestritt. All das erklärte sie dem Hauptmann
der Schwarzen Garde, aber er beschlagnahmte die Kasse trotzdem. Etwas später
fand er auch noch das Rosenholzkästchen, in der sie die Einnahmen aus
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