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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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brauchte so dringend Geld, um die nötigsten
Ausgaben zu bestreiten, dass sie einerseits hoffte, etwas zu finden, und es
andererseits fürchtete, da es für die Schuld ihres Mannes sprechen würde. Der
Groll gegen Benjamin, weil er sie dieser Situation aussetzte, wuchs jeden Tag.
In ihrer Phantasie malte sie sich alle möglichen Szenarien aus, was geschehen
sein könnte. Dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Wenn sie nicht
verrückt werden wollte, musste sie aufhören, darüber zu grübeln, was sich
vielleicht oder vielleicht auch nicht ereignet haben konnte!
     
    Vier Wochen später saß Sibylla am
Schreibtisch in ihrem Kontor und brütete über einem Brief an ihren Vater. Es
war Ende Februar, die Tage wurden länger. Rund um Mogador kündigte sich mit
zarten Kräutern und frischen Knospen der Frühling an. Zwei Briefe ihres Vaters
mit Geschäftsanweisungen an Benjamin lagen vor ihr auf der Tischplatte über der
hässlichen Scharte, die die Gardisten des Kaids mit ihren Krummsäbeln darin
hinterlassen hatten. Richard ahnte noch nicht, dass sein Schwiegersohn des
heimlichen Sklavenhandels bezichtigt wurde, aber Sibylla musste ihn endlich
aufklären. Sie musste ihm schreiben. Nur was? Wenn sie ihm von den schlimmen
Anschuldigungen berichtete, würde er ihr gewiss befehlen, mit den Kindern nach
London zurückzukehren, aber das kam für sie nicht in Frage. Sie wollte sich nie
wieder unter das Dach ihres Vaters begeben und sich vorschreiben lassen, was
gut und richtig für sie war.
    Schließlich beschloss sie, alles so vage wie
möglich zu halten. Sie würde schreiben, dass Benjamin zurzeit verhindert wäre
und sie die Geschäfte vorläufig führen würde. Natürlich würde ihr Vater
nachforschen, Fragen stellen, aber bis ihr Brief ihn erreichte und seine
Antwort bei ihr ankam, vergingen Monate, und bis dahin war dieser Alptraum
vielleicht schon vorbei. Wenigstens blieb ihr erspart, ihm zu beichten, dass die
europäischen Familien der Stadt sich seit Benjamins Verhaftung von ihr
abgewandt hatten oder dass sie sich doch Geld von ihrer Dienstbotin hatte
leihen müssen, damit sie ihre Kinder ernähren konnte.
    Sibylla seufzte tief und tauchte die Feder
ins Tintenglas, als es an ihrer Tür klopfte.
    Firyal erschien. „Ein Bote ist da, Herrin. Er
will den Herrn sprechen.“
    „Er wird wohl mit mir vorliebnehmen müssen“,
äußerte sie und legte die Feder beiseite. „Weißt du, was er möchte?“
    Die Dienerin nickte eifrig. Sie hatte immer
noch Angst, dass Sibylla ihr das Verhältnis mit dem Herrn übelnahm, und bemühte
sich, alle Aufgaben besonders gewissenhaft zu erledigen. „Er sagt, die Karawane
mit dem Leder, das der Herr in Fès gekauft hat, sei vor dem Bab Doukala Tor
eingetroffen. Fünfzig Kamele sind es, und er sagt, der Herr müsse die Ware
prüfen.“
     
    Als Sibylla wieder nach Hause kam, war das
Mittagsgebet vorbei. Erst jetzt ließ ihre Anspannung nach. Sie kannte sich kaum
aus, wenn es um die Qualität von Leder ging. Der Karwan-Baschi, die
Kameltreiber und verschiedene anwesende Kaufleute hatten sie teils
misstrauisch, teils herablassend beobachtet, während sie versucht hatte, sich
so gut wie möglich zu behaupten. Aber sie hatte es geschafft, und am Ende hatte
es ihr sogar Spaß gemacht, die Männer, die sich ihr so überlegen fühlten, zu
verblüffen.
    „Nadira, Firyal!“, rief sie. „Ich habe
Riesenhunger! Gibt es in der Küche noch etwas für mich zu essen?“ Sie lief in
den Innenhof des Riads. Doch dort traf sie nicht ihre Dienerinnen, sondern
einen wohlbekannten dunkellockigen Mann in einem gegürteten Kaftan, weiten
Hosen und derben Lederstiefeln sowie ihre Söhne. Die drei drehten ihr den
Rücken zu und warfen kleine Glasmurmeln auf ein Loch, das sie in den Lehm
gegraben hatten.
    „Jaaa!“, schrie Tom, riss seine Arme empor
und sprang in die Luft. Dann entdeckte er seine Mutter. „Mummy! Ich habe
gewonnen! Jetzt gehören Johnnys Murmeln mir! Die große mit den blauen Streifen
auch!“ Er rannte auf seine Mutter zu.
    Sibylla fing ihn auf, hob ihn hoch und
drückte ihren Mund in seine weichen blonden Locken. Dabei begegnete sie Andrés
Blick. Müde sah er aus. Um seine Augen zogen sich Falten, seine Kleidung und
seine Stiefel waren schmutzig. Aber sein Lächeln war voller Wärme.
Einundzwanzig Tage waren seit seiner Abreise vergangen, und wie hatte sie ihn
vermisst!
    „Sibylla!“ Er ging auf sie zu. „Es kommt mir
wie eine Ewigkeit vor, seit wir uns verabschiedet

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