Die Loewin von Mogador
er, Feradge, trüge persönlich Sorge dafür,
dass Seine Majestät die Gäste gleich am nächsten Morgen empfing.
Für die Nacht wies er André einen
Gästepavillon in dem wunderschönen herrscherlichen Garten zu. Sibylla durfte in
den Haremsgemächern übernachten.
„Wir treffen uns nach dem Morgengebet vor meinem
Gästehaus“, sagte André, als sie sich verabschiedeten. „Versuche, dich
auszuruhen. Wir haben einen anstrengenden Tag vor uns.“
„Magnifique! Du bist schöner als eine
Königin!“, rief er aus, als Sibylla am nächsten Morgen vor ihn trat. Sie trug
ein Kleid aus königsblauer bestickter Seide. Der passende wertvolle
Saphirschmuck, ein Hochzeitsgeschenk ihres Vaters, war leider den plündernden
Schergen des Kaids in die Hände gefallen. Sie hatte sich für die Begegnung mit
dem Herrscher Marokkos europäisch gekleidet. André behauptete, dass Abd Er
Rahman sie höher achten würde, wenn er an ihrer Aufmachung gleich erkannte,
dass sie eine Frau der englischen Oberschicht war.
Er selbst trug die Majorsuniform der
Chasseurs d’Afrique und hatte die Medaille für seine Verdienste im
Algerienkrieg an die hellblaue Jacke geheftet.
„Abd Er Rahman hält unser Militär immer noch
für so gut wie die Grande Armee zu Napoleons Zeiten, und da ich heute als
Gesandter der französischen Regierung vor ihn trete, werde ich einen Teufel tun
und ihm diesen Glauben nehmen“, erklärte er Sibylla, ein wenig verlegen, weil
sie ihn bewundernd musterte.
Wäre der Anlass nicht so ernst gewesen, hätte
ihr Zusammensein ein romantisches Tête-à-Tête sein können, denn der Garten des
Herrschers war bezaubernd. Wüstenwind raschelte im silbernen Laub der
Olivenbäume, Vögel sangen, Wasserspiele plätscherten, und überall duftete es
nach Rosen und Minze, Verbenen, Myrte und Jasmin.
Sibylla setzte sich zu André auf die niedrige
Marmorbank vor dem Gästehaus. „Ich bezweifle, dass der Sultan Benjamins
Freiheit so hoch bewertet wie seinen Thron“, äußerte sie besorgt.
Er hob die Schultern. „Wir müssen unsere
Karten eben klug ausspielen und ihn so neugierig machen, dass er bereit ist,
diesen Preis für unsere Informationen zu zahlen.“
„Ich bin so nervös!“, gestand sie. „Ich habe
versucht, mich zu beruhigen, und mir eingeredet, dass diese Audienz im Grunde
nichts anderes ist, als auf dem Souk mit dem Händler um den Preis für die
Orangen zu feilschen – ich bin nämlich recht gut im Feilschen. Nur heute ist
der Händler der Herrscher Marokkos, und die Orangen sind Benjamins Kopf!“
André grinste. „Der Kopf deines Mannes eine
Orange, das gefällt mir!“
„Ich bin nicht einmal sicher, dass Abd Er
Rahman mein Gastgeschenk gefallen wird.“ Sie blickte zu dem Sattel, der vor ihr
im Gras lag. Es handelte sich um einen sehr teuren englischen Sattel. Benjamin
hatte ihn eigens für seinen feuerfarbenen Hengst anfertigen lassen. Den Hengst
hatte Kaid Hash Hash beschlagnahmt, aber den Sattel hatten seine Schergen nicht
mitgenommen. Benjamin würde es nicht gefallen, wenn er freikam und erfuhr, dass
sein Sattel jetzt dem Sultan gehörte. Aber sie hatte weder die Zeit noch das
Geld für ein anderes Geschenk gehabt.
André erhob sich und strich seine Uniformjacke
glatt. „Dort kommt Ferdage. Es ist so weit.“ Er reichte Sibylla die Hand und
half ihr beim Aufstehen.
„Puh“, stöhnte sie, „ich hatte ganz
vergessen, wie eng so ein Korsett ist!“
Er lächelte. „Kopf hoch und Rücken gerade!
Und vergiss nicht: Ich bin an deiner Seite!“
„Seine Kaiserliche Majestät erwartet die
Gäste im Löwenhof.“ Feradge verbeugte sich vor André und Sibylla. Der große
fleischige Mann mit der ebenholzschwarzen Haut liebte Prunk und Pracht. Sein
Brokatmantel war mit Perlen und Edelsteinen bestickt, und an den feisten
Fingern glänzten goldene Ringe. Sibylla fiel siedend heiß ein, dass sie
vergessen hatte, dem Lieblingseunuchen des Herrschers ein Geschenk
mitzubringen, und hoffte, dass er ihr das nicht übelnahm. Doch Feradge war die
Liebenswürdigkeit in Person, als er sich erkundigte, ob die Gäste Seiner
Majestät sich wohlfühlten und es ihnen an nichts mangelte.
Trotz seiner Fülle bewegte er sich rasch und
geschmeidig. Bald hatten sie eine Mauer und ein großes Torhaus aus rötlichem
Stampflehm erreicht, das den Durchgang in einen anderen Teil des Gartens
bildete. Auch hier standen Wächter der Schwarzen Garde und neigten ehrerbietig
die Köpfe, als die kleine Gruppe
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