Die Löwin
Gefangenen an die Gesandten des Herzogs Gian Galeazzo vereinbart. Wenn ich vorher den Abmarsch anordne, könnte dies den Feind alarmieren.« Ganz wohl war ihr bei diesem Bekenntnis nicht. Da Appiano und Pisa zu ihren Auftraggebern gehörten, hätten auch sie ein Anrecht auf das Lösegeld erheben können, welches sie für ihre Kompanie verwenden wollte.
Der Bote überlegte kurz und nickte. »Ihr habt Recht, Signorina. Ihr solltet zuerst die Gefangenen freilassen und erst danach die Kompanie in Marsch setzen.«
»Ein Gefangener wird mir leider bleiben, denn der Herzog von Molterossa hat mir Nachricht geschickt, dass ich seinen Neffen Rodolfo nicht freilassen darf.«
Diese Information war dem Boten nur eine abfällige Handbewegung wert. »Dann nehmt den Mann am besten mit. Oder wollt Ihr ihn hier lassen?«
Caterina dachte an die blutigen Szenen, die sich bei ihrem Einmarsch abgespielt hatten, und schüttelte sich unwillkürlich. Die Gefahr, dass die neuen Machthaber der Stadt Rodolfo d’Abbati aus Hass und Rachegefühlen heraus umbringen würden, war zu groß. Warum kümmere ich mich eigentlich um diesen aufgeblasenen Wicht?, fragte sie sich in einem Anfall von Ärger. Ihr konnte es doch gleichgültig sein, ob er tot war oder nicht. Ein Teil von ihr sträubte sich jedoch gegen diesen Gedanken. Auch wenn Rodolfo auf der anderen Seite kämpfte, so hatte er ihr selbst keinen Schaden zugefügt. Außerdem war es erquicklicher gewesen, mit ihm zu streiten, als sich Amadeos langatmige Erklärungen anhören zu müssen.
»Also gut, Signore, es wird so geschehen, wie Ihr es wünscht«, beschied sie den Boten und lud ihn dann ein, in ihrem Haus Quartier zu nehmen. Dabei lachte sie innerlich über sich selbst. Der Palazzo des einstigen Podesta von Rividello gehörte ihr nicht und sie würde auch keine Ansprüche auf das Gebäude oder seine Einrichtung erheben. Wahrscheinlich würden die beiden Signori Cornelio Bassi und Marcello Fiocchi sich bis aufs Messer darum streiten, wer hier einziehen durfte, und das vergönnte sie den beiden aufdringlichen Herren.
6.
R odolfo d’Abbati zählte wohl zum hundertsten Mal die Schritte, die er frei gehen konnte. Es waren vier, denn genauso lang war die Zelle, in die man ihn gesteckt hatte. Breit war sie höchstens drei Schritte – ein winziges Loch, in das gerade ein Strohsack passte und der Eimer, in den er seine körperlichen Bedürfnisse verrichten musste. Er befand sich zwar erst seit drei Wochen in diesem Kerker, und doch erschien es ihm wie eine Ewigkeit. Dabei wusste er, dass es ihm im Vergleich zu den übrigen Gefangenen noch gut ging. Mariano und die anderen waren gruppenweise in ähnliche Zellen gesperrt worden, in denen sie sich nicht einmal alle zur gleichen Zeit niederlegen konnten. Während ein Teil schlief, mussten die anderen stehen bleiben und warten, bis sie an die Reihe kamen.
Trotz der erbärmlichen Verhältnisse, die durch den Gestank des stets vollen Eimers und die Flöhe, Wanzen und Läuse verschlimmert wurden, wäre Rodolfo lieber bei ihnen gewesen, als hier eine Sonderbehandlung zu erhalten. Es schien ihm als schlechtes Omen, vor allem, seit sein Vetter Amadeo draußen auf dem Flur hohnlachend erklärt hatte, dass Herzog Gian Galeazzo bereit sei, alle Gefangenen auszulösen – bis auf einen.
Ein Geräusch auf dem Korridor ließ Rodolfo aufhorchen. Er eilte an die eisenbeschlagene Tür und spähte durch das unversperrte Guckloch nach draußen. Bei Amadeos Anblick verzog er säuerlich das Gesicht. Sein Vetter war jeden Tag zu ihm gekommen, um ihn zu verspotten, und er nahm an, dass es diesmal nicht anders sein würde. Amadeo blieb jedoch vor einer der Zellen stehen, in denen die übrigen Gefangenen steckten, und stellte sich dort in Positur.
»Durch die Gnade der Capitana werdet ihr morgen früh freigelassen. Aus diesem Grund könnt ihr jetzt in kleinen Gruppen dieses Loch verlassen, um euch oben zu waschen und frische Gewänder anzuziehen. Ihr solltet dieses unverdiente Geschenk jedoch nicht für Fluchtversuche nutzen oder anderen Ärger machen. Es stehen genug Krieger bereit, euch in Stücke zu hauen.«
Rodolfo fand die Drohung seines Vetters lächerlich, keiner der Gefangenen würde es riskieren, seine Freilassung durch eine Dummheit zu gefährden. Da er glaubte, diesmal in Ruhe gelassen zu werden, wandte er der Tür den Rücken zu und legte sich wieder auf seinen Strohsack. Der Geruch, der dem schmierigen Ding entströmte, machte ihm jedes Mal klar,
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