Die Löwin
beredten Handbewegungen zufolge wollte es wieder an die Arbeit gehen. Botho ließ den Kopf auf das harte Polster sinken, das ihm als Kissen diente, und atmete tief durch. Das Wasser hatte ihm so gut getan, dass er endlich wieder nachdenken konnte.
Er war nicht alleine gereist, sondern hatte Felix und Werner mitnehmen müssen. Zu Hause waren die beiden vor seinem Vater gekrochen, ihn aber hatten sie vom ersten Tag der Reise an spüren lassen, dass sie ihn nicht als ihren Herrn ansahen, sondern über ihn zu verfügen gedachten. Tagtäglich war es zu Streit gekommen, weil er den Knechten ihrer Meinung nach den Wein zu knapp zuteilte und ihnen den Besuch in den Bordellen nicht zahlen wollte, an denen sie unterwegs vorbeikamen. Die beiden unverschämten Kerle stiegen erst spät aus den Betten, die er aus seiner Börse anmietete, als seien sie seine Verwandte und nicht Bedienstete, die eigentlich auf Strohschütten hätten schlafen müssen. Daher verlor er viel Zeit und hatte nicht die geringste Lust, auf all ihre Forderungen einzugehen. Eine Weile hatten die beiden Knechte sich darauf beschränkt, zu schimpfen und zu betteln, aber als sie eine einsame Stelle passierten, hatten sie ihn gepackt und bedroht. Botho erinnerte sich noch daran, dass er Werner scharf zurechtgewiesen hatte. In diesem Moment musste Felix hinter ihn getreten und ihn niedergeschlagen haben, denn von da an konnte er sich an nichts mehr erinnern.
Unwillkürlich tastete er mit der Hand nach seinem Hinterkopf und fühlte einen mehr als handtellergroßen Blutschorf auf einer Schwellung, die so dick war wie seine Faust. Anscheinend hatten ihn die beiden Lumpen für tot gehalten und ausgeraubt. Nicht einmal die Hosen hatten sie ihm gelassen; unter der fadenscheinigen Decke, die seinen Körper bedeckte, war er nackt, und in der Hütte gab es kein einziges Teil seiner Kleidung zu sehen.
Als ihm das Ausmaß seines Elends bewusst wurde, begann er zu weinen wie ein Frauenzimmer. Er konnte sich jedoch nicht lange seiner Verzweiflung hingeben, denn wenig später verdunkelte ein Schatten die Tür. Das Mädchen kam herein und trat sofort beiseite, um einem vornübergebeugten, hageren Mann in einer dunklen Kutte mit der Tonsur eines Mönchs Platz zu machen. Dieser kniete neben Bothos Lager nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Kannst du mich verstehen, mein Sohn?«, fragte er in einem seltsam abgeschliffenen Latein.
In diesem Augenblick war Botho seinem Vater zum ersten Mal dankbar, dass dieser ihn gezwungen hatte, mehr zu lernen als nur lesen und schreiben und wie ein Handelsmann zu rechnen. »Ein wenig, ehrwürdiger Bruder. Sagt, wie komme ich in diese Hütte?«, radebrechte er in der gleichen Sprache.
Der Mönch zeigte auf das Mädchen. »Elisa hat dich beim Ziegenhüten entdeckt und ihre Eltern geholt. Es sind arme Leute, aber Gott ergeben, und so haben sie dich in ihr Haus gebracht. Du musst bösen Schurken in die Hände gefallen sein, denn sie haben dir nichts anderes gelassen als das Leben, und selbst dieses wäre ohne Elisas rasche Hilfe und die ihrer Leute bald erloschen.«
»Ich werde ihnen ewig zu Dank verpflichtet sein! Was diese Schurken betrifft, so habt Ihr Recht. Selbst die Schächer zu Seiten Christi am Kreuz von Golgatha können nicht schlimmer gewesen sein.« Das Reden bereitete Botho Schmerzen, doch diese wären leichter zu ertragen gewesen, hätte er sich nicht in einer völlig aussichtslosen Lage befunden. Er weilte mitten in einem fremden Land, ohne Geld, ohne Kleidung und ohne einen Freund, der ihm mit beidem hätte aushelfen können.
Der Mönch schien ihn auch ohne Worte zu verstehen. »Fasse Mut, mein Sohn! Gott wird sich auch deiner erbarmen, denn er hat dir dein Leben erhalten und dich in die Obhut dieser guten Leute gegeben, die sich um dich kümmern werden, bis du wieder gesund bist. Ich aber werde deine Blöße bedecken und dich einer Pilgerschar empfehlen, die aus deiner Heimat stammt, so dass du in ihrem Schutz weiterreisen kannst.«
Auch wenn die Einsicht bitter war, von der Mildtätigkeit anderer Menschen leben zu müssen, so war Botho klar, dass es keine andere Möglichkeit für ihn gab. Er bedankte sich bei dem Mönch, so gut sein einfaches Latein und seine Stimme es zuließen, und bat ihn, seinen Dank auch an die Bewohner dieses Hauses zu übermitteln, besonders an das kleine Mädchen, dem er sein Leben verdankte. Als der Mönch sich verabschiedet hatte, sackte er kraftlos in sich zusammen und wünschte sich,
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