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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Muttergottes, siehst du deine Frau. Du siehst ihre Narben.« Als Gabriel keine Antwort gab, stützte Chiara sich auf einen Ellbogen, studierte sein Gesicht und fuhr mit einem Finger die Linie seines Nasenrückens nach, als begutachte sie eine Skulptur. »Du tust mir so leid …«
    »Vorwürfe kann ich nur mir selbst machen. Es war idiotisch von mir, sie mit in den Einsatz zu nehmen.«
    »Deshalb tust du mir leid. Könntest du jemand anders dafür verantwortlich machen, wäre es vermutlich leichter.«
    Sie legte den Kopf auf seine Brust und schwieg einen Augenblick. »Gott, wie ich diese Stadt hasse. München . Wo alles angefangen hat. Weißt du, daß Hitler nicht weit von hier seine erste Parteizentrale hatte?«
    »Ja, ich weiß.«
    »Ich dachte immer, alles hätte sich seitdem zum Besseren gewandelt. Aber vor einem halben Jahr hat jemand vor der Synagoge meines Vaters einen Sarg abgestellt. Auf den Deckel war ein Hakenkreuz geschmiert, innen lag ein Zettel: ›Dieser Sarg ist für die Juden Venedigs! Für alle, die wir beim erstenmal nicht erwischt haben!‹«
    »Das ist nicht ernst zu nehmen«, sagte Gabriel. »Zumindest die Drohung ist nicht ernst zu nehmen.«
    »Es hat die Alten erschreckt. Die erinnern sich noch daran, wie es war, als solche Drohungen ernst zu nehmen waren, weißt du.« Sie hob die Hand und wischte sich eine Träne ab. »Glaubst du wirklich, daß Beni noch etwas anderes versteckt hat?«
    »Darauf würde ich mein Leben verwetten.«
    »Was brauchen wir überhaupt noch? Ein Bischof aus dem Vatikan hat sich 1942 mit Martin Luther an einen Tisch gesetzt und seinen Segen zur Ermordung von Millionen Juden gegeben. Sechzig Jahre später hat die Crux Vera deinen Freund und viele andere ermordet, um diese Tatsache weiterhin geheimzuhalten.«
    »Ich will nicht, daß die Crux Vera siegt. Ich will dieses Geheimnis aufdecken – und dazu brauche ich mehr als Schwester Reginas Bericht.«
    »Weißt du, was du dem Vatikan damit antust?«
    »Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen.«
    »Du wirst ihn vernichten«, sagte sie. »Und dann kehrst du in die Kirche San Zaccaria zurück und führst die Restaurierung deines Bellinis zu Ende. Du bist ein Mann voller Widersprüche, weißt du das?«
    »Das habe ich schon mehrmals gehört.«
    Chiara hob den Kopf, stützte das Kinn auf sein Brustbein und starrte ihm in die Augen. Ihr Haar floß über seine Wangen. »Warum hassen sie uns, Gabriel? Was haben wir ihnen jemals getan?«
    Der Peugeot stand noch dort, wo sie ihn zurückgelassen hatten: vor dem Eingang des Gemeindezentrums, im gelben Licht einer Straßenlaterne. Gabriel steuerte vorsichtig über die nassen Straßen. Er umfuhr den Stadtkern auf dem Thomas-Wimmer-Ring, einer um die Münchner Altstadt herumführenden mehrspurigen Straße, bog dann ab und fuhr über die Ludwigstraße nach Schwabing. Am Eingang eines U-Bahnhofs sah er einen mit einem Ziegelstein beschwerten Stapel blauer Prospekte. Chiara rannte hin, raffte die Prospekte an sich und schaffte sie in den Wagen.
    Gabriel fuhr zweimal am Haus in der Adalbertstraße 68 vorbei, bevor er der Überzeugung war, daß ihnen dort keine Gefahr drohte. Er parkte in der Barerstraße um die Ecke und stellte den Motor ab. Eine Straßenbahn rumpelte vorbei – unbesetzt bis auf eine alte Frau, die trübselig durch die beschlagene Scheibe starrte.
    Auf dem Weg zum Hauseingang Nummer 68 dachte Gabriel an sein erstes Gespräch mit Kommissar Axel Weiss zurück.
    Die Bewohner überlegen nicht lange, wen sie ins Haus lassen. Klingelt jemand und ruft »Werbung!« in die Sprechanlage, wird der Türöffner gedrückt.
    Gabriel zögerte, dann drückte er auf zwei Klingelknöpfe gleichzeitig. Einige Sekunden später fragte eine verschlafene Stimme: »Ja?« Gabriel murmelte das Zauberwort. Der Türöffner summte, und die Haustür ließ sich aufstoßen. Sie traten ein. Die Tür schloß sich automatisch hinter ihnen. Für den Fall, daß oben jemand horchte, öffnete und schloß Gabriel sie nochmals. Dann legte er die Prospekte auf dem Fußboden ab und ging durch den Hausflur zur Treppe – hastig, weil er nicht wußte, ob die alte Hausmeisterin noch wach war.
    Sie schlichen die Stufen zum ersten Stock hinauf. Benjamins Wohnungstür war noch mit Absperrband gesichert, und eine amtliche Notiz an der Tür verbot den Zutritt. Von der einst improvisierten Gedenkstätte voller Blumen und Kondolenzbriefe war nichts mehr zu sehen.
    Chiara kniete vor der Tür nieder und machte sich mit

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