Die Loge
Moderne in einem Meer der Renaissance. Foà ging durch eine gläserne Automatiktür und über den schwarzen Marmorboden zu seinem Glaskasten im Presseraum. Der Vatikan zwang alle, die er einer Dauerakkreditierung für würdig erachtete, zu unfreiwilliger Genügsamkeit. Foàs Büroeinrichtung bestand aus einem winzigen Schreibtisch mit Resopalplatte, einem Telefon und einem Faxgerät, das immer zu den denkbar ungünstigsten Zeiten ausfiel. Seine Nachbarin, eine Blondine mit Rubensfigur, hieß Giovanna und arbeitete für die Zeitschrift Inside the Vatican . Sie hielt ihn für einen Ketzer und schlug seine häufigen Einladungen zum Mittagessen stets aus.
Foà ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Auf dem Schreibtisch lag ein Exemplar des Osservatore Romano neben einem Stapel Meldungen der vatikanischen Nachrichtenagentur. Die päpstliche Version von Prawda und TASS. Schweren Herzens begann er zu lesen, wie ein Kreml-Astrologe in der Meldung, ein bestimmtes Politbüromitglied habe sich eine schwere Bronchitis zugezogen, eine geheime Bedeutung suchte. Wieder nur das übliche Gewäsch. Foà schob den Papierkram beiseite und stellte die langwierige Überlegung an, wohin er zum Mittagessen gehen sollte.
Er sah zu Giovanna hinüber. Vielleicht war dies der Tag, von dem an sie sich nicht länger weigern würde. Foà zwängte sich in ihren Glaskasten. Sie saß über einen bolletino, eine amtliche Verlautbarung, gebeugt. Als er einen Blick über ihre Schulter warf, bedeckte sie das Schriftstück mit dem Unterarm wie eine Streberin, die ihren Banknachbarn nicht spicken lassen will.
»Was hast du da, Giovanna?«
»Ist gerade rausgekommen. Hol dir deins und lies es selbst.«
Sie schob ihn auf den Flur hinaus. Foà spürte ihre Hand noch auf seiner Hüfte, als er schon durch den Raum auf einen Holzschreibtisch zuging, an dem eine streng aussehende Ordensschwester saß. Sie sah einer früheren Lehrerin, von der er sich oft Schläge mit dem Rohrstock eingefangen hatte, unbehaglich ähnlich. Mürrisch reichte sie ihm zwei bolletini – wie eine Lageraufseherin, die Häftlingsrationen ausgibt. Nur um sie zu ärgern, las Foà die Pressemitteilungen direkt vor ihrem Schreibtisch. Die erste betraf die Neubesetzung einer Stelle in der Glaubenskongregation – kaum etwas, was die Leser der Repubblica interessierte. Das würde er Giovanna und ihren Freunden bei der Katholischen Nachrichtenagentur überlassen. Die zweite Meldung war weit interessanter. Sie betraf eine Änderung des Terminplans des Heiligen Vaters für kommenden Freitag. Er hatte die Audienz für eine Pilgergruppe von den Philippinen abgesagt und würde statt dessen der Großen Synagoge in Rom einen kurzen Besuch abstatten, um zur dortigen Gemeinde zu sprechen.
Foà sah auf und runzelte die Stirn. Ein Besuch in der Synagoge, der erst zwei Tage vorher bekanntgegeben wird? Unmöglich! Ein Ereignis dieser Art hätte seit Wochen auf dem Terminplan des Papstes stehen müssen. Man brauchte kein erfahrener Vatikanbeobachter zu sein, um zu bemerken, daß hier etwas nicht stimmte.
Foà blickte in einen Korridor mit Marmorboden. An seinem Ende führte eine offene Tür in ein prunkvolles Büro. Hinter einem auf Hochglanz polierten Schreibtisch saß dort eine bedrohliche Gestalt namens Rudolf Gertz, ein ehemaliger österreichischer Fernsehjournalist, der jetzt die vatikanische Pressestelle leitete. Eigentlich war es verboten, diesen Korridor ohne ausdrückliche Genehmigung zu betreten, aber Foà beschloß, es dennoch zu riskieren. Als ihn die Ordensschwester einen Augenblick aus den Augen ließ, huschte er wieselflink den Korridor entlang. Wenige Schritte vor Gertz' Tür wurde Foà jedoch von einem bulligen Priester am Kragen gepackt und strampelnd in die Höhe gehoben. Foà schaffte es, den bolletino hochzuhalten.
»Was haben Sie sich dabei gedacht, Rudolf? Halten Sie uns für Idioten? Wie kommen Sie dazu, uns das nur zwei Tage vorher mitzuteilen? Sie hätten uns rechtzeitig informieren müssen! Was bezweckt er mit diesem Besuch? Was wird er dort sagen?«
Gertz sah gelassen auf. Er hatte die typische Bräune eine Skifahrers und war heute für ein Fernsehinterview noch eleganter angezogen als sonst. Foà hing hilflos in der Luft und wartete auf eine Antwort, obwohl er wußte, daß dies sinnlos war, denn Rudolf Gertz schien irgendwo auf dem Weg zwischen Wien und dem Vatikan seine Sprache verloren zu haben.
»Sie haben keine Ahnung, warum er die Synagoge besucht, nicht wahr, Rudolf?
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