Die Loge
Der Papst hält Dinge vor der eigenen Pressestelle geheim. Irgendwas ist hier faul, und ich werde dieser Sache auf den Grund gehen.«
Gertz zog die Augenbrauen hoch, als wollte er sagen: »Ich wünsche Ihnen viel Erfolg«, was der bullige Priester als das Signal auffaßte, Foà in den Presseraum zurückzuführen und in seinem Glaskasten abzuliefern.
Foà stopfte seine Siebensachen in die Jackentaschen und stürmte aus dem Gebäude. Auch als er auf der Via della Conciliazione am Fluß entlangstapfte, hielt er noch immer den zerknüllten bollettino in der Hand. Foà wußte, daß er kataklysmische Veränderungen ankündigte. Er wußte nur nicht, welche. Gegen alle Vernunft hatte er sich darauf eingelassen, bei einem uralten Spiel mitzumachen: bei einer vatikanischen Intrige, die ein Flügel der Kurie gegen einen anderen ausgeheckt hatte. Er vermutete, daß der überraschend angekündigte Besuch in der Großen Synagoge von Rom der Höhepunkt dieses Spiels war, und ärgerte sich darüber, daß man ihm dieselben Scheuklappen verpaßt hatte wie allen anderen. Man hatte eine Vereinbarung getroffen. Und nach Ansicht Benedetto Foàs war dagegen verstoßen worden.
Auf der Piazza vor den Festungswällen der Engelsburg machte er halt. Er mußte ein Telefongespräch führen – ein Gespräch, das er nicht von seinem Apparat in der sala stampa aus führen konnte. An einem öffentlichen Münztelefon wählte er die Nummer einer Nebenstelle im Vatikanpalast, die Nummer eines Mannes in der unmittelbaren Umgebung des Heiligen Vaters. Der Angerufene meldete sich sofort, als habe er diesen Anruf erwartet.
»Wir hatten eine Vereinbarung, Luigi«, begann Foà ohne Umschweife. »Die haben Sie verletzt.«
»Beruhigen Sie sich, Benedetto. Werfen Sie nicht mit Vorwürfen um sich, die Sie später bedauern werden.«
»Ich habe zugestimmt, Ihr kleines Spiel, was die Kindheit des Heiligen Vaters betrifft, mitzuspielen, weil ich dafür etwas ganz Besonderes bekommen sollte.«
»Verlassen Sie sich darauf, Benedetto, Sie bekommen etwas ganz Besonderes – und früher als Sie ahnen.«
»Ich stehe kurz davor, endgültig aus der sala stampa verbannt zu werden, weil ich Ihnen geholfen habe. Sie hätten wenigstens andeuten können, daß dieser Synagogenbesuch bevorsteht.«
»Das war mir aus Gründen, die Sie in den nächsten Tagen sicherlich verstehen werden, nicht möglich. Was Ihr Problem in der sala stampa betrifft, wird es sich demnächst regeln.«
»Wozu besucht er die Synagoge?«
»Um das zu erfahren, müssen Sie wie jeder andere bis Freitag warten.«
»Sie sind ein Mistkerl, Luigi.«
»Versuchen Sie bitte daran zu denken, daß Sie mit einem Priester sprechen.«
»Sie sind kein Priester. Sie sind ein Halsabschneider, der eine Soutane trägt.«
»Mit Schmeicheleien kommen Sie bei mir nicht weiter, Benedetto. Und jetzt müssen Sie mich entschuldigen – der Heilige Vater möchte etwas mit mir besprechen.«
Am anderen Ende wurde aufgelegt. Foà knallte den Hörer auf die Gabel und machte sich erschöpft auf den Rückweg zur Pressestelle.
Nicht weit entfernt, in einem festungsartigen Botschaftsgebäude am Ende einer mit Bäumen bestandenen Sackgasse namens Via Michele Mercati, saß Aaron Schiloh, der israelische Botschafter beim Heiligen Stuhl, an seinem Schreibtisch und blätterte einen Stapel morgendlicher Depeschen aus dem Außenministerium in Tel Aviv durch. Eine untersetzte Frau mit kurzen schwarzen Haaren klopfte an den Türrahmen und trat ein, ohne Schilohs Erlaubnis abzuwarten. Jael Ravona, die Sekretärin des Botschafters, legte diesem ein einzelnes Blatt Papier auf den Schreibtisch. Es war eine Meldung der vatikanischen Nachrichtenagentur.
»Die ist gerade gekommen.«
Der Botschafter überflog die Meldung, dann sah er auf. »Ein Besuch in der Synagoge? Warum haben wir nicht schon im Vorfeld einen Hinweis bekommen? Das verstehe ich nicht.«
»Einige Formulierungen lassen darauf schließen, daß Nachrichtenagentur und Pressestelle selbst überrascht waren.«
»Melden Sie ein Gespräch mit dem Staatssekretariat an. Sagen Sie, daß ich Kardinal Brindisi sprechen möchte.«
»Wird gemacht.«
Jael Ravona ging hinaus. Der Botschafter griff nach dem Telefonhörer und wählte eine Nummer in Tel Aviv. Im nächsten Augenblick sagte er halblaut: »Ich muß Schamron sprechen.«
Zur selben Zeit saß Carlo Casagrande auf der Rückbank seines vatikanischen Dienstwagens, der in raschem Tempo auf der Staatsstraße 4 nordöstlich von Rom
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