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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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umwehte laue Luft sein Gesicht. Die Nachmittagssonne schien auf die silbrig grünen Blätter der Olivenbäume. Tief unterhalb der Straße lag der See flach und still wie eine Platte aus poliertem Granit.
    Die Kleinstadt Brenzone schüttelte gerade die Benommenheit der soeben beendeten Siesta ab; an den Bars und Cafés wurden Markisen herausgekurbelt, und in den engen gepflasterten Gassen, die steil zum Monte Baldo hinaufführten, stellten Ladenbesitzer ihre Waren auf dem Gehsteig aus. Gabriel fuhr am Ufer entlang weiter, bis er das »Grand Hotel« fand – eine safrangelbe große Villa am Stadtrand.
    Als Gabriel auf den Innenhof fuhr, stürzte sich der Hausdiener mit der Begeisterung eines Eingesperrten, der für jede Gesellschaft dankbar ist, auf den neuen Gast. Die Eingangshalle stammte aus einer vergangenen Zeit. Tatsächlich wäre Gabriel nicht überrascht gewesen, Franz Kafka auf der Lehne eines verstaubten Rohrsessels hocken und im Halbschatten etwas in ein Manuskript kritzeln zu sehen. Im Speisesaal nebenan deckten zwei gelangweilte Kellner langsam zwei Dutzend Tische fürs Abendessen. Ihrem schleppenden Arbeitstempo nach zu urteilen, würden die meisten Tische an diesem Abend nicht besetzt sein.
    Der Portier an der Rezeption nahm Haltung an, als Gabriel näherkam. Gabriel warf einen Blick auf das schwarzsilberne Namensschild an der linken Brusttasche seines Blazers: GIANCOMO. Der blonde, blauäugige Hüne mit der straffen Haltung eines preußischen Offiziers betrachtete Gabriel mit verhaltener Neugier.
    Gabriel stellte sich in bemühtem, aber fließendem Italienisch als Ehud Landau aus Tel Aviv vor. Das schien dem Portier zu gefallen. Als Gabriel nach einem Mann fragte, der vor zwei Monaten in diesem Haus zu Gast gewesen war – ein Professor Benjamin Stern, der hier seine Brille vergessen hatte –, schüttelte der Portier langsam den Kopf. Erst die fünfzig Euro, die Gabriel ihm in die Hand drückte, schienen seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. »Ah, richtig, Herr Stern!« Die blauen Augen funkelten. »Der Schriftsteller aus München. An den kann ich mich gut erinnern. Er war drei Nächte bei uns.«
    »Professor Stern war mein Bruder.«
    »War?«
    »Er ist vor zehn Tagen in München ermordet worden.«
    »Aufrichtiges Beileid, Signor Landau, aber vielleicht sollte ich über Professor Stern nicht mit seinem Bruder, sondern mit der Polizei sprechen.«
    Als Gabriel ihm erklärte, er führe eigene Ermittlungen durch, runzelte der Portier nachdenklich die Stirn. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nichts Nützliches mitteilen, außer daß Professor Sterns Tod meiner Überzeugung nach nichts mit seinem Aufenthalt in Brenzone zu tun hat. Ihr Bruder hat die meiste Zeit im Kloster verbracht, wissen Sie.«
    »Im Kloster?«
    Der Portier kam hinter der Empfangstheke hervor. »Kommen Sie bitte mit.«
    Er führte Gabriel durch die Hotelhalle zu einer Terrassentür und ins Freie hinaus. Sie überquerten eine Seeterrasse und blieben an der Balustrade stehen. Unweit des Hotels erhob sich auf einer felsigen Landzunge ein von Zinnen gekröntes schloßartiges Gebäude.
    »Das Herz-Jesu-Kloster. Im neunzehnten Jahrhundert war es ein Sanatorium. Die Schwestern haben es vor dem Ersten Weltkrieg in Besitz genommen und sind seither dort.«
    »Wissen Sie, was mein Bruder dort gemacht hat?«
    »Leider nein. Aber wollen Sie das nicht Mater Vincenza fragen? Sie ist die Äbtissin. Eine wundervolle Frau. Ich bin sicher, daß sie Ihnen sehr gern behilflich sein wird.«
    »Haben Sie ihre Telefonnummer?«
    Giancomo schüttelte den Kopf. »Kein Telefon. Die Schwestern leben wirklich sehr zurückgezogen.«
    Ein Paar riesiger Zypressen stand wie zwei Wachposten auf beiden Seiten des hohen Gittertors. Als Gabriel auf den Klingelknopf drückte, kam ein kalter Windstoß vom See herauf, kreiselte durch den Hof und bewegte die Äste der Olivenbäume. Im nächsten Augenblick erschien ein alter Mann in einem schmutzigen Overall. Als Gabriel sagte, er lasse Mater Vincenza um ein kurzes Gespräch bitten, nickte der Alte und verschwand im Klostergebäude. Wenig später kam er zurück, öffnete das Tor und forderte Gabriel mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen.
    Die Äbtissin erwartete ihn in der Eingangshalle. Ihr ovales Gesicht wurde von einer grau-weißen Flügelhaube umrahmt. Eine Brille mit dicken Gläsern vergrößerte ihre wachsamen Augen. Als Gabriel Benjamins Namen erwähnte, lächelte sie strahlend und aufrichtig. »Ja, natürlich

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