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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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erinnere ich mich an ihn«, sagte sie und ergriff seine Hand. »Ein wundervoller Mann! So klug und gebildet! Ich habe unsere gemeinsame Zeit sehr genossen.«
    Dann erzählte Gabriel ihr, was Benjamin zugestoßen war. Mater Vincenza bekreuzigte sich und faltete ihre Hände unter dem Kinn. Ihre vergrößerten Augen schienen kurz davor, sich mit Tränen zu füllen. Sie faßte Gabriel am Ellbogen. »Bitte kommen Sie mit. Sie müssen mir alles erzählen.«
    Die Schwestern von Brenzone mochten ein Armutsgelübde abgelegt haben, ihr Kloster allerdings war bestimmt auf einem der begehrtesten Grundstücke ganz Italiens errichtet. Der Gemeinschaftsraum, in den Gabriel geführt wurde, war eine große rechteckige Galerie, so möbliert, daß mehrere Sitzgruppen entstanden. Durch die hohen Fenster konnte Gabriel eine Terrasse mit Marmorbalustrade und die dünne Sichel des über dem Gardasee aufgehenden Mondes sehen.
    Sie nahmen in abgewetzten Sesseln vor einem der Fenster Platz. Mater Vincenza läutete eine kleine Glocke, und als eine junge Nonne erschien, bat die Äbtissin sie, ihnen Kaffee zu bringen. Die Nonne glitt so ruhig und lautlos davon, daß Gabriel sich fragte, ob sich unter ihrer Ordenstracht ein Satz Laufrollen verbarg.
    Nun schilderte Gabriel die näheren Umstände von Benjamins Ermordung. Bei seinem Bericht ließ er sorgfältig all das aus, was die fromme Frau ihm gegenüber hätte schockieren können. Trotzdem seufzte Mater Vincenza bei jeder neuen Enthüllung schwer und bekreuzigte sich langsam. Als Gabriel seinen Bericht beendet hatte, befand sie sich in höchster Aufregung. Der stark gesüßte Espresso, den ihnen die schweigsame junge Nonne in winzigen Tassen servierte, schien ihre Nerven etwas zu beruhigen.
    »Sie wußten, daß Benjamin Sachbuchautor war?«
    »Natürlich. Deswegen war er hier in Brenzone.«
    »Er hat an einem Buch gearbeitet?«
    »Gewiß.«
    Mater Vincenza machte eine Pause, als das Faktotum mit einem Armvoll Holzscheite hereinkam. »Danke, Licio«, sagte sie, als der Alte das Holz in den Weidenkorb am Kamin legte und sich daraufhin lautlos entfernte.
    Die Äbtissin fuhr fort: »Wie kommt es, daß Sie das Thema seines Buchs nicht kennen, wenn Sie sein Bruder sind?«
    »Aus irgendwelchen Gründen hat Benjamin mit diesem Buchprojekt sehr geheimnisvoll getan. Er hat das Thema sogar vor Freunden und Angehörigen geheimgehalten.« Gabriel erinnerte sich an sein Gespräch mit Professor Berger. »Auch der Dekan seiner Fakultät an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität wußte nicht, woran er arbeitete.«
    Mater Vincenza schien das als Erklärung zu akzeptieren, denn nachdem sie ihn einen Augenblick sorgfältig gemustert hatte, sagte sie: »Ihr Bruder hat an einem Buch über Juden gearbeitet, die während des Krieges in kirchlichen Einrichtungen Zuflucht gefunden haben.«
    Gabriel dachte einen Augenblick über ihre Aussage nach. Ein Buch über Juden, die sich in Klöstern versteckt hatten? Das war natürlich denkbar, aber es klang nicht wie ein Thema, dessen Benjamin sich angenommen hätte. Und es lieferte auch keine Erklärung für seine ungewöhnliche Geheimnistuerei. Trotzdem beschloß er, zunächst einmal mitzuspielen.
    »Was hat ihn hierhergeführt?«
    Mater Vincenza taxierte ihn über den Rand ihrer Espressotasse hinweg. »Trinken Sie aus«, sagte sie, »dann zeige ich Ihnen, weshalb Ihr Bruder nach Brenzone gekommen ist.«
    Die warme Hand der Äbtissin ruhte leicht auf Gabriels Unterarm, als sie gemeinsam die steile Steintreppe im Licht einer Stablampe hinunterstiegen. Am Fuß der Treppe empfing sie Modergeruch, und Gabriel konnte seinen Atem sehen. Vor ihnen lag ein schmaler Korridor zwischen massiven Holztüren, die von Rundbogen eingerahmt waren. Der Ort erinnerte an Katakomben. Gabriel stellte sich plötzlich vor, wie gehetzte Seelen sich hier bei Fackelschein bewegten und flüsternd miteinander sprachen.
    Mater Vincenza führte ihn den Korridor entlang und blieb vor jeder Tür stehen, um den Lichtstrahl ihrer Stablampe in das Innere einer beengten Kammer zu schicken. Das Mauerwerk glänzte feucht, und der Modergeruch war überwältigend stark. Gabriel bildete sich ein, über ihren Köpfen das Plätschern von Wasser zu hören.
    »Dies war der einzige Ort, an dem die Flüchtlinge nach Überzeugung der Schwestern sicher waren«, sagte die Äbtissin, als sie endlich ihr Schweigen brach. »Wie Sie selbst spüren, war es hier unten im Winter bitterkalt. Ich fürchte, sie haben schrecklich

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