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Die Loge

Die Loge

Titel: Die Loge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Fleisch. Da es niemanden gab, der ihm Kaffee brachte, mußte sich Schamron in der Kantine selbst versorgen und dem Kaffeeautomaten ein dünnes Gebräu entlocken. Damit ging er den Flur zu seinem »Büro« entlang – ein kahler Raum, kaum größer als eine Besenkammer, mit einem Kiefertisch, einem Klappstuhl aus Stahlblech und einem abgestoßenen Telefon, das nach Desinfektionsmittel roch.
    Schamron setzte sich an den Tisch, klappte seinen Aktenkoffer auf und nahm das Überwachungsphoto aus London heraus, das Mordecai vor Peter Malones Haus gemacht hatte. Mit aufgestützten Ellbogen, die Fingerknöchel an den Schläfen, starrte er es mehrere Minuten lang an. Alle paar Sekunden schob sich ein anderer Kopf durch den Türrahmen, und neugierige Blicke musterten ihn wie ein exotisches Tier. Ja, es stimmt. Der Alte macht wieder mal die Zentrale unsicher. Schamron merkte nichts davon. Er hatte nur Augen für den Mann auf dem Photo.
    Schließlich griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer der Forschungsstelle. Dort meldete sich ein Mädchen, das noch nicht einmal die Schule absolviert zu haben schien.
    »Hier ist Schamron.«
    »Wer?«
    »Scham- RON «, sagte er gereizt. »Ich brauche die Akte über die Entführung auf Zypern. Die war 1986, wenn ich mich recht erinnere. Das war vermutlich vor Ihrer Geburt, aber tun Sie Ihr Bestes.«
    Er knallte den Hörer auf die Gabel. Fünf Minuten später erschien ein übermüdet aussehender junger Mann namens Jossi an Schamrons bescheidener Tür. »Sorry, Boss. Das Mädchen ist neu.« Er hielt einen Aktenordner hoch. »Sie wollten diesen hier sehen?«
    Wie ein Bittsteller hielt Schmaron die Hand auf.
    Sicherlich war es keines von den Ereignissen, an die sich Schamron mit Stolz erinnerte. Das war damals keiner von Schamrons stolzeren Augenblicken gewesen. Im Sommer 1986 war der israelische Justizminister Meir Ben-David mit zwölf Gästen und fünf Mann Besatzung zu einem Mittelmeertörn an Bord einer Privatjacht ausgelaufen. Am neunten Urlaubstag wurde die Jacht im Hafen von Larnaca von einem Terroristenteam gekapert, das behauptete, im Auftrag einer Organisation zu handeln, die sich Kämpfende Palästinensische Zellen nannte. Ein Befreiungsversuch schien ausgeschlossen, und die Zyprioten wollten, daß der Fall möglichst rasch und unauffällig aus der Welt geschafft wurde. Folglich mußte sich die israelische Regierung auf Verhandlungen einlassen, die Schamron mit dem deutschsprachigen Führer des Teams aufnahm. Drei Tage später war die Geiselnahme beendet. Die Geiseln kamen unversehrt frei, die Terroristen erhielten freies Geleit, und einen Monat später wurden ein Dutzend der schlimmsten PLO-Killer aus israelischen Gefängnissen entlassen.
    Offiziell dementierte Israel, daß es sich um ein Tauschgeschäft gehandelt habe, aber diesem Dementi glaubte niemand. Für Schamron war das in der Tat eine bittere Pille gewesen, und als er jetzt die Akte durchblätterte, durchlitt er alles noch einmal. Er kam zu einem Photo, der einzigen Aufnahme, die ihnen von dem Führer des Teams geglückt war. Im Prinzip war sie wertlos: eine Teleaufnahme, körnig und verschwommen, ein mit Sonnenbrille und Baseballkappe weitgehend getarntes Gesicht.
    Er legte die alte Aufnahme neben das Überwachungsphoto aus London und verbrachte mehrere Minuten damit, die beiden Bilder miteinander zu vergleichen. Derselbe Mann? Das ließ sich unmöglich feststellen. Er griff wieder nach dem Telefonhörer und wählte erneut die Nummer der Forschungsstelle. Diesmal meldete sich Jossi.
    »Ja, Boss?«
    »Bringen Sie mir die Akte ›Leopard‹.«
    Er war ein Rätsel, eine begründete Vermutung, eine Theorie. Manche hielten ihn für einen Deutschen, andere für einen Österreicher, wieder andere für einen Schweizer. Ein Sprachwissenschaftler, der sich die Tonbandaufzeichnungen seiner auf Englisch mit Schamron geführten Verhandlungen angehört hatte, vertrat die Theorie, der Mann stamme aus Elsaß-Lothringen. Die deutschen Dienste hatten ihm den Spitznamen »Leopard« gegeben; er hatte bei ihnen mehrmals gemordet, und sie wollten ihn unbedingt. Ein Söldner-Terrorist. Ein Mann, der für jede Gruppierung, für jede Sache kämpfte, solange sie seinen Überzeugungen entsprach: seiner kommunistischen, antiwestlichen und antizionistischen Haltung. Der Leopard wurde für die Geiselnahme auf Zypern und die Ermordung dreier Israelis in Europa im Auftrag des PLO-Führers Abu Jihad verantwortlich gemacht. Schamron hatte sich immer

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