Die Lucifer-Connection (German Edition)
Land. Sierra Leone! Bis auf die vierhundert Kilometer Küstenstreifen mit den schönsten Stränden Afrikas besteht es zu neunzig Prozent aus dichtem Regenwald, in dem drei Viertel der sechs Millionen Einwohner in düsterem Schrecken verharren. Niedergekauert unter undurchdringlichem Blattwerk, verwildern sie im Busch. Die Portugiesen hatten das Land „Löwengebirge“ getauft, weil das Küstengebirge der Halbinsel von Freetown mit den zwei runden Bergen vom Meer aus an einen schlafenden Löwen erinnert. Das Inland wird von vielen Flüssen durchzogen, von denen nur sechshundert Kilometer schiffbar sind. Das Straßennetz ist kaum eine Alternative: Von den fast zwölftausend Kilometern sind nur neunhundert gepflastert, und das in schlechtem Zustand. Mitte Mai beginnt in Sierra Leone die Regenzeit, mit täglichen Gewittern und oft tagelangen, ununterbrochenen Niederschlägen. Sie dauert bis Oktober. Im Januar bringt der Harmattan aus der Sahara für einen Monat kühle Luft in das Treibhaus. Aber mit ihm kommt auch der Staub, der in jede Pore und Ritze dringt und Maschinen lahmlegt. Außerhalb der Hauptstadt liegt eine unzugängliche Welt, in der die Stämme der Mende, Temme und Limba abgeschnitten von der Zivilisation ihren alten Göttern huldigen.
In den Dreißigern des zwanzigsten Jahrhunderts waren die ersten Diamantenfelder entdeckt worden, die man problemlos im Tagebau ausbeuten konnte. Wie im weniger begüterten Nachbarstaat Liberia wurden sie zum Schicksal; die Blutdiamanten finanzierten die Bürgerkriege. Dieser glitzernde, fast wertlose Dreck, der lediglich zum Schneiden harter Substanzen taugt, ist zum Fetisch einer dekadenten Zivilisation geworden. Worin besteht der Unterschied, ob sich ein Papua einen Wildschweinzahn durch die Nase zieht oder Mick Jagger einen Diamanten in den Schneidezahn einsetzen lässt? Der Wert der gepressten Kohle wird vom Diamantenkartell De Beers durch künstliche Verknappung aufrechterhalten. Diamanten gibt es nämlich nicht nur in Afrika im Überfluss. Würden sie alle auf den Markt gelangen, gäbe es in kürzester Zeit einen atemberaubenden Wertverfall.
Sie näherten sich dem Lungi International Airport. Gill sah hinaus auf die groteske Hölle, die man Freetown, Stadt der Freien, nannte. Hier hatten die Briten mit schlechtem Gewissen freigelassene Sklaven ans Ufer gekippt. Wegen der industriellen Revolution waren sie kostspielig und unnötig geworden. Ein Eitergeschwür von Stadt. Die schwülste Hauptstadt der Erde, in der die Luftfeuchtigkeit selten unter fünfundachtzig Prozent fällt und die Nächte mindestens sechsundzwanzig Grad haben. Irgendwo unter ihnen lag die ausgebrannte Ruine des Hauses, in dem Graham Greene während des Weltkriegs als Spion gelebt und „Das Zentrum des Schreckens“ geschrieben hatte. Zwischen Gloucester und George Street, noch angefüllt mit geräumten Sandsackstellungen der UNO.
An der Destruction Bay herrschte ein Durcheinander von Hochhäusern; aus der Bucht ragten halbversunkene Schiffsrümpfe. Freetown krallte sich zur Seeseite hin in den Berg, während ihr Arsch schon im Dschungel verschwand. Die bewaldeten Hügel umklammerten die Stadt. Hütten aus Abfall klebten an den Hängen und zogen sich bis zum Meer. Der Dschungel begann an den Außenbezirken und führte ohne Unterbrechung an die Grenzen von Liberia und Guinea. Über einigen Stadtteilen hing selbst bei Nacht der Himmel wie Rauch über einer Müllkippe. Ein Gewimmel aus primitiven Hütten und unübersichtlichen Gassen schlängelte sich bis an den Rand des Lungi-Airports.
Nach der Landung brachte ihn Zorgenfrij schnell und unkompliziert durch den Zoll. Die verschlossenen Gesichter der schwarzen Soldaten machten Gill endgültig klar, dass er jetzt in der heißen Landezone war. Vor dem Flughafen warteten Zorgenfrijs Chauffeur und eine bewaffnete Leibwache.
„Ich bringe Sie gerne zum Hotel, aber mit dem Hubschrauber-Shuttle sind Sie schneller.“
„Danke. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“
„Ich Ihnen auch.“ Zorgenfrij gab Gill seine Karte, dann fuhr er in die Nacht hinein.
***
Der Flughafen lag auf der nördlichen Seite des Sierra Leone River; Taxis und Busse mussten mit einer Fähre übersetzen. Die Fahrt in die Stadt dauerte mindestens eine Stunde. Mit einem russischen Hubschrauber der Paramount Airlines flog Gill für achtunddreißig Dollar nach Aberdeen, den westlichsten Stadtteil, der durch die Brücke an der Cockle Bay mit Freetown verbunden ist. Die Erinnerung an den
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