Die Lucifer Direktive
kehrst du als General zurück.«
Der Junge klammerte sich stärker an Sparrows Schultern. »Kommst du uns besuchen, Opa? Wirst du uns öfter in Amerika besuchen?«
Sparrow zauste seinen Haarschopf. »Was denkst du denn von mir?«
Der Junge umarmte ihn. »Ich liebe dich, Opa.«
Sparrow war für die Umarmung dankbar, denn sie ersparte es dem Kind, seine aufsteigenden Tränen zu sehen. Er hatte seinen Enkel belogen – es würde keine Besuche geben. Amerikareisen würden die Sicherheit zunichte machen, deretwegen er seine Familie dorthin schickte. Er konnte nicht zulassen, daß man ihn mit ihr in Verbindung brachte. Das Risiko war zu groß. Ihre Sicherheit mußte um jeden Preis gewährleistet werden. So hatten die Lügen begonnen. Sparrow haßte Lügen, die sein Berufsleben immer beherrscht und irgendwie immer ihren Weg in sein Privatleben gefunden hatten. Überall waren Lügen, die sich immer leichter erzählen ließen, aber deshalb nicht leichter zu ertragen waren. Jede Lüge entfernte ihn weiter von der großartigen Wahrheit, die er sich dereinst als strahlendes Licht vorgestellt hatte, das sich in der Zukunft über die Finsternis der Vergangenheit erheben würde. Aber als die Zeit verging und die Zukunft zur Vergangenheit wurde, hatte die Finsternis es verschluckt. Ein schwaches Glimmen am Horizont war alles, was übrig geblieben war. Der Rest war mit seinen Träumen, seinen Idealen vergangen.
Und jetzt war er auf dem Weg nach Amerika. Selbst auf die Lügen konnte man sich nicht mehr verlassen.
»Ich werde draußen warten, Israeli«, hatte Felix gesagt, als sie das Café erreichten.
»Haben Sie keinen Hunger?«
Felix zuckte die Achseln. »Restaurantessen ist nicht mein Fall. Außerdem, wenn's Schwierigkeiten gibt, dann kommen sie von draußen. Ich bleibe lieber für alle Fälle an der Tür, um damit fertig zu werden.«
»Danke.«
»Nicht der Rede wert, Israeli. Sagen Sie dem einäugigen Piraten nur ein ›Hallo‹ von mir.«
Constantine Depopolis besaß zwar nur ein Auge, glich aber keineswegs einem Piraten. Sein weißer Zweireiher wurde durch ein enges schwarzes Polo-Hemd, das sich über seine immer noch breiten Schultern spannte, ergänzt. Seine rabenschwarze Augenklappe verlieh ihm ein schmuckes, geradezu fashionables und kaum bedrohliches Aussehen. Sein Haar war ebenfalls schwarz, sorgfältig geschnitten und glatt zurückgekämmt. Er besaß einen frischen, tief gebräunten Teint, und das Gesicht zeigte stolz seine paar Fältchen. Die Jahre waren Depopolis gewogen gewesen, und er hatte sich revanchiert.
»Ah, mein alter Freund«, sagte er und erhob sich lächelnd, sobald Sparrow zu ihm herüber kam. »Es ist zu lange her.«
Sparrow streckte die Hand aus, aber Depopolis umarmte ihn einfach herzlich und klopfte ihm auf die Schulter.
»Wie meint es das Leben mit dir?« fragte der Grieche und trat ein wenig zurück.
»Gut, bis vor ein paar Tagen.«
»Ah, der Anlaß deines Besuchs.«
»Hast du die erbetene Information?«
Depopolis bot ihm einen Stuhl an und setzte sich wieder. »Habe ich dich je im Stich gelassen, Sparrow?«
»Ich bin zu alt, um mich zu erinnern.«
Der Grieche lachte und griff über den Tisch, um Sparrow den Arm zu tätscheln.
»Wir kennen uns verdammt lange, nicht?« überlegte Depopolis und sah wieder alles vor sich.
Viele Jahre lang hatte er die Meere als Schmuggler gekreuzt, ein Pirat unserer Zeit, der mitnahm, was die reichen Schiffe boten, die das Pech hatten, ihm zu begegnen. In jedem europäischen Hafen war er Legende und ein Rätsel für die Küstenwache, der er immer wieder entwischte. Nur einmal war er gefangen worden – von den aufgebrachten Besitzern eines Drogenschiffs – und hatte bei der Bestrafung mit dem Brandeisen sein rechtes Auge verloren. Aber zum Steuern eines Schiffs ist nur ein Auge nötig, und Depopolis war mit frischem Elan aufs Meer zurückgekehrt und hatte weitergemacht, selbst als eine mächtige Flotte von europäischen Drogenhändlern gegen ihn aufgestellt wurde.
Sparrow hatte ein paar Stunden vorher Schiffe losgeschickt, um dem Kampf zuvorzukommen, der den Griechen das Boot und wahrscheinlich auch das Leben kosten würde. Der Israeli wußte, daß fast alle Waffentransporte der Terroristen übers Wasser führten. Ohne eine Kanone ist ein Terrorist nichts. Daher entwarf Sparrow einen Plan, der Depopolis gestattete, die Schiffe der Waffenhändler zu überfallen, ihre Ladung zu konfiszieren und dafür auch noch außergewöhnlich gut bezahlt zu
Weitere Kostenlose Bücher