Die Ludwig-Verschwörung
schweren Schritts wieder zurück ins Schloss, wo ich hinter einigen erleuchteten Fenstern jetzt die Schemen einer größeren Tischgesellschaft ausmachen konnte. Mein Herz raste, ich war noch nicht zu spät gekommen! Ganz offensichtlich amüsierten sich die hohen Herren beim Souper, bevor sie dem König die Hiobsbotschaft überbringen wollten.
Ich ließ eines meiner Pferde hinter dem Schuppen zurück und galoppierte mit dem anderen den steilen Hügel nach Neuschwanstein empor. Soldaten waren glücklicherweise keine zu sehen, einsam ragten die Baugerüste jenseits des Torbaus empor. Nachdem ich einige Male fest ans Burgtor geklopft hatte, öffnete mir der verschlafene Burgwart, der mich noch von früheren Aufenthalten her kannte. Nach einem kurzen Wortwechsel wurde ich eingelassen und stürmte in den unteren Hof und von dort die Treppe hinauf zum Palas, um den König zu benachrichtigen.
Ich traf ihn ganz oben im Sängersaal.
Ludwig sah noch erbärmlicher aus, als ich ihn von meinem letzten Treffen in Erinnerung hatte. Er war so fett, dass man fürchten musste, die Knöpfe seines Rocks könnten jederzeit abplatzen. Sein Gesicht war bleich und aufgedunsen, an den Hemdsärmeln und der Weste klebten Soßenflecken. Als ich eintrat, hielt er ein kleines Büchlein zwischen den speckigen Fingern und deklamierte lautlos einige Verse, wobei seine Lippenbewegungen an einen blassen Karpfen erinnerten. Obwohl ich den Saal unter lautem Getöse betreten hatte, schien er mich gar nicht zu bemerken.
»Euer Majestät!«, rief ich. »Ihr seid in großer Gefahr!«
Endlich drehte er sein mächtiges Haupt in meine Richtung, doch offensichtlich erkannte er mich nicht.
»Kainz?«, murmelte er. »Hab ich Sie für eine Vorstellung geladen?«
Ich seufzte leise. Der König hielt mich ganz offensichtlich für einen seiner Schauspieler. Sollte Ludwig nun doch wahnsinnig geworden sein? Hatten seine Kritiker recht behalten? Seine verwahrloste Gestalt wirkte in dem prachtvollen Sängersaal mit seiner hohen Decke, den Parcival-Gemälden und den vergoldeten Kronleuchtern wie die eines Bettlers in einem Märchenschloss. Er stand auf der kleinen Bühne an der Kopfseite des Gewölbes, hinter ihm eine grob gepinselte grüne Waldkulisse mit Bäumen, Büschen und Rehen. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Marot!«, zischte er, als er mich endlich erkannte. »Ich dachte, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich möchte Ihn nicht mehr in meiner Nähe haben! Sein Verhalten war degoutant!«
Obwohl mich der König noch eine Weile lautstark beschimpfte, war ich grenzenlos erleichtert. Wenigstens schien Ludwig mich zu erkennen und war doch nicht ganz dem Wahn verfallen.
Als sein größter Zorn verraucht war, eilte ich zur Bühne und verbeugte mich wie ein Ritter vor seinem Herrscher. Tatsächlich fühlte ich mich in dem Schloss wie die Figur aus einer Sagenwelt, wie ein Parcival oder ein Tristan, der seinem König Bericht erstattete, bevor er auszog, den Heiligen Gral zu suchen.
»Euer Majestät«, begann ich leise. »Ich weiß, dass ich gefehlt habe. Trotzdem komme ich in dieser dunklen Stunde zu Euch, weil ich Euch warnen muss! Graf Holnstein, Dr. von Gudden und einige Beamte und Irrenwärter sind auf dem Weg hierher, um Euch für verrückt zu erklären und abzusetzen. Ihr müsst fliehen, sofort!«
Ludwig sah mich verwundert an. »Unsinn, wenn Gefahr drohte, hätte mein Friseur Hoppe mich doch längst …«
»Vergesst Eure Lakaien!«, unterbrach ich ihn. »Die meisten arbeiten bereits für die Minister! Euer Oberstallmeister Holnstein hat sie dazu angestiftet!«
»Zuzutrauen wär’s ihm, dem korrupten Rossober.« Der König legte den Kopf schräg und musterte mich neugierig. Mit einem Mal kam er mir wieder so vernünftig vor wie in seinen jungen Jahren.
»Marot, ich rechne Euch hoch an, dass Ihr mich gewarnt habt. Ein König kann auch vergeben, erhebt Euch.« Er rief nach seinem treuen Diener Weber, der hinter der Tür gewartet hatte. »Sperrt das Schloss ab und lasst niemanden herein!«, befahl er mit fester Stimme. »Außerdem holt mir die Gendarmerie aus Füssen und die umliegenden Feuerwehren. Wollen doch sehen, ob mich diese blasierten Herren so mir nichts, dir nichts einseifen können.«
Mein Herz tat einen Freudensprung. Das war der König, wie ich ihn von früher her kannte! Der König, für den ich zu sterben bereit war. Seine Augen waren nicht mehr leer, sondern blickten mich
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