Die Lüge im Bett
schlägt vor, schon mal die Vorspeisen zu bestellen. Als Suzanna schließlich wieder auf die Straße tritt, stehen nur noch Nina und Nic da.
Bevor sie sich recht versieht, sagt sie forsch zu Suzanna:
»Kannst du für uns übersetzen?«
»Sicher«, antwortet Suzanna fröhlich. »Es paßt gut, daß die anderen nicht wollen, sie kann nur eine Sitzung abhalten. Die könnt ihr ja zusammen machen!« Dabei schaut sie Nina und Nic an, als stecke sie Brüderchen und Schwesterchen gemeinsam in die Badewanne.
Hinter der hölzernen Eingangstür öffnet sich ein großer, dunkler Flur. Es ist kühl und riecht seltsam vertraut nach Kartoffeln. Suzanna geht zielstrebig voraus, einige Stufen hoch, an mehreren Türen vorbei und bleibt dann stehen. Sie kennt sich hier verdammt gut aus, überlegt Nina. Und als könnte Suzanna Gedanken lesen, erklärt sie leise, daß sie als Kind sehr oft hiergewesen sei, weil sie die Atmosphäre so aufregend fand. Und noch heute werde es ihr bei jeder Sitzung ein wenig unheimlich.
Nina räuspert sich leise. Ihr graut es jetzt schon. Suzanna klopft an, öffnet und läßt Nina und Nic an sich vorbei in den dunklen Raum der Wahrsagerin eintreten. Aber Ninas Augen haben sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt, und sie kann einiges erkennen. Es wirkt auf den ersten Blick wie ein ganz normales Wohnzimmer, vollgestopft mit allen möglichen Utensilien. Hinter einem Tisch, die zugezogenen schweren Vorhänge im Rücken, sitzt eine breite Gestalt, die etwas Unverständliches sagt. Suzanna übersetzt flüsternd: »Ihr sollt euch dort auf das Sofa setzen!«
Beide versinken in ausgeleierten Sprungfedern, Suzanna bleibt stehen.
Es ist still. Dann bemerkt Nina, daß irgend etwas ein kratzendes Geräusch verursacht. Nach einer Weile kann sie es einordnen. Die Alte schiebt, leise vor sich hinbrummelnd, kleine Gegenstände über den Tisch. Sind es Würfel? Oder vielleicht kleine Knochen? Während sie noch überlegt, gibt die Alte Suzanna mit der Hand ein kurzes Zeichen. Suzanna zündet eine heruntergebrannte weiße Kerze an, die vor Nic und Nina steht. Nina starrt in die kleine Flamme, dahinter verwandelt sich das monotone Gemurmel plötzlich in eine Art Klagelied. Dann schrillt die Stimme langgezogen und zittrig durch den Raum, um schließlich jäh abzubrechen. Die Kerze erlischt.
Was bedeutet das, war das eine Art Lebenskerze? Ein schlechtes Omen für ihren Flug morgen? Für ihr gemeinsames Leben?
Die Alte bewegt sich auf ihrem Stuhl. Sie muß unzählige Gewänder oder Umhänge übereinander tragen. Alles raschelt an ihr, ist in Bewegung. Dann ist wieder Ruhe.
Plötzlich beginnt die Alte wieder zu sprechen. Suzanna hört zu, faßt dann leise zusammen: »Ihr werdet beide ein langes Leben haben, glücklich sein, aber ihr sollt auf eure Gesundheit achten. Zusammen bekommt ihr«, an dieser Stelle zögert sie ein wenig, »zwei hübsche, gesunde Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Nic wird als Regisseur sehr erfolgreich werden - wenn er das nächste Mal nach Rio fliegt, kommt er mit seinem eigenen Flugzeug!«
Nina fällt fast aus dem Sofa, so hängt sie an den Lippen der Alten. Nic und sie - ein Paar! Da spielt es kaum noch eine Rolle, daß nur Nic erfolgreich wird. Obwohl es vom Schicksal ja nicht ganz richtig ist. Aber zwei Kinder und Karriere sind nun eben mal schwierig. Hingerissen ergibt sie sich ihrem Schicksal.
Die Alte krächzt noch etwas, Suzanna beugt sich zu Nina und Nic herunter. »Sie ist fertig, ihr müßt ihr etwas Geld hinlegen!«
Es sind umgerechnet dreißig Mark, die Nina für sie beide auf den Tisch legt. Dabei kann sie das Gesicht der Frau etwas besser sehen. Es wirkt sehr alt, ist voller Falten und Runzeln. Und der Blick der Wahrsagerin geht seltsam an ihr vorbei, ins Leere, die Augen wirken trübe und weiß.
Sie verabschieden sich und tappen vorsichtig hinaus. Dann wird es ihr klar: Die Frau ist blind. Sie braucht kein Licht, ihr Zuhause ist die Dunkelheit.
Draußen schüttelt sich Nic: »Na, das war wirklich beeindruckend. Vor allem das mit der Karriere. Da bin ich ja mal gespannt!«
Über uns sagt er überhaupt nichts, denkt Nina enttäuscht und dreht sich nach Suzanna um, die leise die schwere Haustür hinter sich zuzieht. »Die alte Dame ist blind, stimmt's?« fragt sie neugierig.
»Stimmt! Sie lebt im Dunkeln, solange ich mich zurückerinnern kann!«
»Aber der Organismus braucht doch Licht, Sonne! So kann ein Mensch doch nicht leben!«
»Sie lebt so!«
Nina schüttelt den
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