Die Lüge
Autobahnausfahrt. Sie schob die Klinge zurück, als der Wagen sich in die lang gezogene Kurve legte. Er wurde langsamer, bog nach rechts ab. Am rechten Straßenrand standen vereinzelt Wohnhäuser. Wieder bog er ab. Antoniterweg, las sie auf einem blauen Schild an einer weißen Mauer. Die Straße zog sich endlos an breiten Grundstücken vorbei. Ihre Finger nestelten im Schoß, zogen den Plastikring wieder vom Ende des Feuerzeugs. Zurkeulen schaute nach vorne, sie zur Seite. Hausnummer dreiundfünfzig. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren mehrere Baustellen. Die dünne, schmale Klinge verschwand fast völlig in ihrer Hand.
Hausnummer fünfundsiebzig. Der Wagen wurde langsamer und hielt am Straßenrand vor der Nummer neunundsiebzig. Zurkeulen zeigte auf die Beifahrertür. «Bitte. Sie gehen voran. Ich möchte mich vorerst im Hintergrund halten. Und es wäre sinnvoller, wenn Sie Herrn Hardenberg nichtauf meine Anwesenheit hinweisen. Verschaffen Sie mir die Möglichkeit, eine zwanglose Begrüßung zu erleben. Es könnte sich als segensreich für Ihre Zukunft erweisen.»
Was auch immer er versprach – er konnte sich keine Zeugen leisten, das war ihr klar. Als sie sich nicht rührte, beugte er sich zur Seite und griff über ihren Schoß hinweg nach dem Türgriff. In der nächsten Sekunde war die dünne Klinge an seinem Hals.
«Nicht bewegen», sagte sie. «Wenn Sie sich bewegen, schneide ich Ihnen die Kehle durch. Glauben Sie nicht, ich hätte Hemmungen.» Sie griff in sein Jackett, bekam die Pistole zu fassen, zog sie heraus und setzte ihm die Mündung ins Genick.
Er rührte sich tatsächlich nicht. Halb über ihrem Schoß hängend sagte er: «Sie machen einen großen Fehler, Frau Trenkler. Ich fürchte, er wird Ihren Mann das Leben kosten. Und das wäre nicht nötig gewesen. Mir war nicht an einer Gewaltaktion, mir war mehr an einer Zusammenarbeit gelegen.»
«Das glauben Sie doch selbst nicht», sagte sie. «Aber um meinen Mann machen Sie sich mal keine Sorgen. Er hat eine Pistole, eine viel größere als das kleine Ding, mit dem Ihr Begleiter herumgefuchtelt hat. Ich glaube, es war sogar noch ein bisschen Wasser drin. Und jetzt wenden Sie. Wir fahren zurück.»
Sie meinte ihn mit den Zähnen knirschen zu hören. «Nehmen Sie zuerst das Messer weg», verlangte er.
Sie zog die Hand mit der Klinge zurück. Im nächsten Augenblick stieß er den Kopf seitlich nach unten. Es war ein heftiger Stoß in Magen und Unterleib, der ihr die Luft aus den Lungen presste. Sie wollte nicht abdrücken, es war nur der Schmerz, der im Reflex ihren Finger krümmte. Aber nichts passierte.
Zurkeulen nahm ihr die Pistole aus der Hand und sagte beinahe mitfühlend: «Sie ist gesichert.» Dann entwand er ihren verkrampften Fingern das kleine Messer.
Drei Minuten gönnte er ihr, ganze drei Minuten, um den Hieb zu verarbeiten. In der Zeit telefonierte er mit Ramon. Es erwies sich als überflüssig, Ramon vor einer Wasserpistole zu warnen. Michael sei längst überwältigt, sagte Ramon. Zurkeulen gab seine Auskünfte an sie weiter. «Gab es Schwierigkeiten?», fragte er. «Du klingst so gepresst.»
Ramon begründete das mit Michaels heftiger Gegenwehr und einem ausgeschlagenen Vorderzahn. «Du hast hoffentlich nicht geschossen?», fragte Zurkeulen noch und erkundigte sich dann, ob Herr Trenkler bei Bewusstsein sei und sich von seiner Frau verabschieden möchte. Dazu sei er nicht mehr in der Lage, teilte Ramon mit. Und Zurkeulen befahl: «Dann schaff ihn nach unten. Die Frau auch. Wirf sie beide in den Pool.»
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, betrachtete er das kleine Messer in seiner Hand. Die dünne Klinge hielt er für ein hervorragendes Spielzeug, feinsinniger als die Methoden, die Ramon normalerweise anzuwenden pflegte. Sehr plastisch schilderte er ihr, wie er das Messer einzusetzen gedachte. Dann bat er: «Wenn Sie nun bitte aussteigen. Schaffen Sie es, oder darf ich behilflich sein?»
Sie hätte sich eher in Streifen schneiden lassen, als ihm einen stützenden Griff zu gestatten. Irgendwie kam sie hinaus ins Freie, ohne noch etwas zu hören oder zu sehen. Ein Schleier hatte sich über ihre Augen gelegt. Alle tot. Nadia gefoltert und überfahren, Andrea niedergeschlagen und ertränkt. Michael auch. Sie fühlte seinen Arm noch um ihre Schultern und seine Hand, die ihr das Laken in die Finger und es über ihrer Brust andrückten. Sie sah ihn noch herumwirbeln in der Tür zum Ankleidezimmer.
Dieter würde vermutlich
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